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Wie wird man aus einer Oper klug?

FESTSPIELE / CAPRICCIO

27/07/24 Pausen-Gesprächs-Platitüden zwischen Hofstallgasse und Grünem Hügel. Geistreicheleien des Feuilletons. Akademische Verstaubtheiten aus Operngeschichte und Musikwissenschaft samt Fußnoten und klingenden Beispielen aus Geschichte und Gegenwart. Das ist Capriccio. Das Zuhören macht(e) süchtig nach mehr – dank einem grandiosen Ensemble, dank Christian Thielemann und den Wiener Philharmonikern.

Von Heidemarie Klabacher

„Keine Lyrik, keine Poesie, keine Gefühlsduselei! Verstandestheater, Kopfgrütze, trockenen Witz!“ Das schwebte dem alten Strauss vor. Eigentlich wollte er gar keine Oper mehr komponieren. Und das Libretto ist nach jahrelangen Wehen und dem Verschleiß mehrerer namhafter Hebammen knapp an der Totgeburt vorbei geschrammt...

„Die Gräfin ist verliebt, sie weiß nur nicht in wen. Um sich darüber klar zu werden, läßt sie sich eine Oper schreiben.“ Die Dienerschaft kommentiert es trefflich. Aber es ist kompliziert. Dichter oder Komponist? Der amouröse ist nur ein Neben-Aspekt der grundlegenden Frage „Wort oder Ton“. Es wird feinsinnig diskutiert im „Konversationsstück für Musik“. Als ob die Menschheit 1942 keine anderen Sorgen gehabt hätte. Da wird sinniert über opern-äthstetische Fragen, das Verhältnis von Musik und Ton, über Reformoper und Opernreform. Fehlen als Themen nur noch Sinn- oder Unsinnigkeit der Dramatisierung von Romanen. Oder, noch besser, das Regietheater. Aber letzteres war in Frankreich um 1770 – da spielt Capriccio – und in Deutschland um 1940 – da ungefähr entstand Capriccio – noch nicht erfunden.

Das endgültige Libretto stammt jedenfalls von Clemens Krauss, Richard Strauss himself sowie Hans Swarowsky als dichtendem Helfer. Mitten im Krieg eine Oper über Musik und Wort zu schreiben, das bleibt schrullig. Auf jeden Fall eignet dem nur scheinbar knochen-trockenen Text nichts Altbackenes. Ob die vielen ironischen Seitenhiebe gegen die fein-gebildete Kulturschickeria „damals“ als solche gemeint waren oder nur nur heute so ankommen?

Überhaupt – konnte diese Oper mit einem anderen Dirigenten als Christian Thielemann je funktionieren? Capriccio ist eine Art Vermächtnis. Der ganze Strauss in einem Werk, samt einigen knochentrockenen Ausflügen in den Kontrapunkt, wie ihn sich die Größten der Großen gegen Ende des Lebens offenbar nicht nicht verkneifen können. Und selbst diese rein akademischen Passagen, sogar die sperrigen die Tanzsnummern, sind Klang pur. Jeder Dialog – und das ganze Capriccio besteht nur aus Dia-, Tria oder Quatrologen – ist  in der Interpretation von Christian Thielemann im Orchester so fein und präzise grundgelegt, dass die Sängerinnen und Sänger quasi nur mehr die Speerspitzen ihrer Argumente ins Treffen führen müssen.

Allein für die verschiedenen Varianten des „live“ in der Oper gedichteten und alsbald ebenso „live“ vertonten Sonettes lohnte es sich, den Operntod zu sterben. Wenn aus der großen Schluss-Szene der Gräfin immer wieder der große Monolog der Marschallin zu werden droht, drehen Thielemann und die Wiener Philharmoniker an einer winzigen Schraube – und Stimmung und Duktus nehmen die nächste Wendung ins Pianissimo irgendeiner ganz neuen Klangfacette. Elsa Dreisig als kunstsinnige Gräfin hat sich in der Premiere der konzertanten Aufführung am Freitag (16.7.) im Großen Festspielhaus in den Anfangs-Ensembles beinah bis zur Farblosikgkeit zurückgehalten, um gegen Ende stimmlich, aber auch in darstellerischer Präsenz, strahlend aufzublühen. In der finalen Spiegelszene stellt sie all ihre bangen Fragen um Liebe und Kunst ihrem Spiegelbild: Das war nicht länger blutleerer Ästhetizismus, sondern bewegende Seelen-Schau.

„Alles nur Mode! Mode! Die große Gesellschaft, sie sitzt in den Logen, gähnt gelangweilt und schwatzt. Sie beachtet allein die Pracht der Dekors und wartet voll Ungeduld auf die hohen Töne des beliebten Tenors“, singt Mika Kares in der Partie des Theaterdirektors La Roche. Er ist die Stimme des notwendigen Kassenerfolges, seiner Sache mit Leidenschaft untertan. Wie schon beim alten Goethe, im Vorspiel auf dem Theater, hat der Direktor das letzte Wort gegenüber Dichter und Komponist: „Macht euch nicht wichtig! In meiner Hand ruht schließlich euer Erfolg.“

Bo Skovhus brilliert als gräflicher Laienschauspieler, er hat was gegen Rezitative und ein Faible für die weiblichen Facetten im Kulturbetrieb: Besonders für Ève-Maud Hubeaux als lebenskluge Schauspielerin Clairon. Sebastian Kohlhepp singt die Partie des Komponisten Flamand mit strahlendem Tenor, Konstantin Krimmel ist als Dichter Olivier der wortgewante Gegespieler im Kunst- und Liebesdiskurs.

Es kommt wie es kommen muss. Die Entscheidung ob der Musik oder dem Wort der Vorzug zu geben ist, ist nicht zu treffen. Eine Oper wird in Auftrag gegeben. „Ich wüßte ein äußerst fesselndes Thema“, singt der Graf: „Wir sind die Personen eurer Oper. … Wir alle spielen mit in eurem Stück.Schildert Konflikte, die uns bewegen. Schildert euch selbst! Die Ereignisse des heutigen Tags, was wir alle erlebt – dichtet und komponiert es als Oper!“ Da beißen Werk und Auffhrung einander in den den Schwanz: Was wir, das Publikum gerade erleben, wird erst entstehen... „Wie wird man aus einer Oper klug. Verworrnes Zeug! Man singt, damit man den Text nicht versteht. Das ist auch sehr notwendig, sonst zerbricht man sich über den verworrnen Inhalt den Kopf.“ So ätzen die Diener.

Capriccio – weitere Aufführungen am 31. Juli und am 4. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SFS / Marco Borrelli
 

 

 

 

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