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Die Hoffnung ist die letzte Folter

FESTSPIELE / IL PRIGIONIERO

26/07/24 Fratello, Bruder. Wie an einen Strohhalm klammert sich der Gefangene, der Folter aller Arten hinter sich und vermutlich die Hinrichtung vor sich hat, an die freundlichen Worte des Kerkermeisters. „Dolcissime parole“, schwärmt er, im Grunde sehr wohl wissend um seine als politischer Häftling ausweglose Lage.

Von Reinhard Kriechbaum

Luigi Dallapiccola (1904-1975) hat seinen Operneinakter Il prigioniero im Freiheitskrieg der Niederlande gegen Philipp II. angesiedelt. Aber gemeint war mit dem in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs begonnenen, 1950 uraufgeführten Werk eine Anklage an die unmittelbar vergangenen Gräuel. Und so drängte sich für das Konzert mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien und den Chor des Bayerischen Rundfunks am Donnerstag (25.7.) in der Felsenreitschule die Kombination dieser eindringlichen Oper – gerade jetzt ein Werk der Stunde – mit einem anderen einschlägigen Schlüsselwerk aus dem 20. Jahrhundert auf: Luigi Nonos Il canto sospeso auf Zitate aus Abschiedsbriefen zum Tode verurteilter Widerstandskämpfer. Zwei aufrüttelnde Konzertstunden.

Il prigioniero – , das war der famos gestaltende Bariton. Aber nicht nur für die Titelrolle hält Dallapiccolas Oper wunderbare Aufgaben bereit. Der Prolog gehört der Mutter des Delinquenten (Tanja Ariane Baumgartner), die genau fühlt, dass sie ihren Sohn zum letzten Mal sehen wird. Sie berichtet von einem Traum, in dem „Philipp II., der Uhu, Sohn des Geiers“ zum Inquisitor, zum Tod selbst mutiert. Da ist das Schicksal des Sohnes vorgezeichnet. Der vermeintlich mitfühlende Kerkermeister, der den Gefangenen mit gespielter Empathie als „fratello“ anspricht, ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufbaut und in ihm Hoffnungen weckt, ist in Wirklichkeit der Großinquisitor. Die Zellentür lässt er absichtlich offen, der Gefangene glaubt, dass die Revolution erfolgreich ist. Doch sein Weg in die Freiheit wird jäh gestoppt und er muss erkennen, dass er einer Chimäre aufgesessen ist: „Die Hoffnung ist die letzte Folter.“

Georg Nigl in der Titelpartie konnte alle Gefühlsregister ausspielen, von der Sehnsucht nach Mitgefühl über die trügerische Hoffnung auf Erfolg der politischen Ideale (in die sich immer auch latente Zweifel mengen), schließlich der geradezu von überschäumendem Enthusiasmus getragene Aufbruch, auf den zwingend das Entsetzen folgt. Der Tenor John Daszak war der Gegenspieler, der Kerkermeister, der die Gefühle des Delinquenten mit lustvoller Grausamkeit lenkt, falsche Hoffnungen weckt und verstärkt. Ein Stimm- und Gefühlsversteller von Gnaden.

Keine neue Erkenntnis: Luigi Dallapiccola gehört zu den meistunterschätzten Komponisten seiner Generation. In den satten Orchesterklängen von Il prigioniero finden sich packender Expressionismus wie vielfarbige, spät-impressionistische (oder symbolistisch) wirkende Tonmalerei. Dallapiccola, spürbar aus der italienischen Operntradition kommend, steht für eine ganz eigene, un-eklektische Art der Orchesterbehandlung. Und er hat sich allen modischen Modernismen verweigert.

Diese Eigenart hat Maxime Pascal am Pult des RSO sehr bewusst herausgearbeitet, die starken Binnenspannungen dramaturgisch wirksam betont – und dies bei größtmöglicher Sänger-Freundlichkeit. Den drei Protagonisten standen deshalb in dieser konzertanten Wiedergabe alle gestalterischen Optionen offen, die sie auch zu nutzen wussten. Der Jubel in der Felsenreitschule fiel demensprechend aus.

Sehr lange dauerte es hingegen, bis nach Nonos Il canto sospeso Beifall einsetzte. Darf, kann, soll Beifall überhaupt sein nach diesem Werk? Es stand diesmal nicht die Musik für sich allein, denn Tobias Moretti war eingeladen, aus jenen Briefen von zum Tode Verurteilten zu lesen, aus denen Luigi Nono Textpassagen übernommen hat. Auch wieder eine sehr spezifische, wenn man will „italienische“ Art des Komponierens. Nono hat sich der Reihentechnik bedient, aber die Klangfarbenorganisation hat er bei weitem nicht so rigoros gehandhabt, wie es die Anhänger der seriellen Technik taten. Bei aller Ton-organisatorischen Strenge ist Il canto sospeso – man verzeihe das Wort in diesem Zusammenhang – „süffige“ Musik. Ja, vielleicht sogar „eingängig“. Auch da fanden Maxime Pascal und das RSO zu einem überzeugenden Tonfall, und der Chor des Bayerischen Rundfunks, dem in der Dallapiccola-Oper vor allem Worte der betenden Gefangenen zugedacht waren, hat die hier ungleich anspruchsvolleren Aufgaben transparent umgesetzt. Die drei Gesangssolisten hier: Caroline Wettergreen, Freya Apffelstaedt und Robin Tritschler.

Hörfunkübertragung am 2. August um 19.30 Uhr in Ö1 und am 8. August um 18.05 Uhr in BR-Klassik – Dallapiccolas „Il prigioniero“ in Bild und Ton ist am 6. August um 23.20 in ORF 2 zu sehen, weiters am 30. August um 19.30 Uhr auf ARTE Concert (Internet) sowie am 15. September zur Mitternachtsstunde auf ARTE
Bilder: SF / Marco Borrelli

 

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