Familienaufstellung vor der Koma-Patientin
FESTSPIELE / KOMA
25/07/24 Michaela, Michaela, Michaela... Die Menschen am Krankenbett der Koma-Patientin werden sie noch einmal anreden, anrufen: liebend, herausfordernd, mit besorgtem oder bedrohlichem Unterton, nüchtern oder zornig, sanftmütig oder drohend. Sie wird immer nur mit Vokalisen antworten. – Die Oper Koma von Georg Friedrich Haas konzertant bei der Ouverture spirituelle.
Von Reinhard Kriechbaum
Jeder kennt die Situation: Besuch am Krankenbett, worüber reden? Ist die Wahrnehmungsfähigkeit der Patientin eingeschränkt oder überhaupt fraglich, ist's besonders herausfordernd. Kernfragen am Ende der irdischen Existenz berühren Händl Klaus und Georg Friedrich Haas mit ihrer Oper Koma.
Da sind also um das Krankenbett von Michaela versammelt: ihre Schwester, Michaelas Ehemann und der Gatte der Schwester, der dann auch in die Rolle der Mutter schlüpfen wird. Weiters zwei Ärztinnen und drei Pfleger. Nach und nach erfahren wir – andeutungsweise nur – warum Michaela im Koma liegt. Sie ist wohl als Kind missbraucht worden. Das Verhältnis zu ihrer Mutter muss höchst problematisch gewesen sein. Ein Leben lang hat sie vermutlich unter den seelischen Verwundungen gelitten. Der vermeintliche Badeunfall war jedenfalls ein Selbstmordversuch.
Händl Klaus, Librettist der zweistündigen Oper Koma, schildert in vielen, vielen Szenen, wie Michaelas Verwandte versuchen, die Frau zurückzuholen ins Bewusstsein. Das geschieht mit der Evokation positiver, liebevoller Erinnerungen, aber auch durch harte, schonungslose Konfrontation mit den bedrohlichen Begebenheiten in Michaelas verquerer Biographie. Diese emotionalen Wechselbäder verursachen auch beim Hörer gehörig Gänsehaut. In der Psychotherapie kennt man die Methode der Familienaufstellung. Ähnliches passiert in Koma – aber es ist eine Familienaufstellung nicht mit Figürchen, sondern mit lebenden Menschen. Die Hardcore-Version...
Das also hat Georg Friedrich Haas vertont. Koma wurde 2016 in Schwetzingen uraufgeführt, danach überarbeitet und in definitiver Fassung 2019 in Klagenfurt vorgestellt. Erhellend, dass zwei Tage vor der Aufführung am Mittwoch (24.7.) im Großen Saal des Mozarteums in der Kollegienkirche Haas' das Stück Ich suchte, aber fand ihn nicht vorgestellt wurde. Das ist beinah ein Schwesterwerk zur Oper, die wortlose Variante einer musikalischen Evokation, eines vergeblichen Findungs-Versuchs, wie er in Koma eben musikdramatisch gefasst ist. Und ja, es gibt in dem Werk die im Koma liegende Hauptfigur sogar als musikalische Hauptperson. Aber sie hat keinen Text, sondern schwebt mit ihren Melismen in einer anderen, höheren Sphäre. Zwischen den realen, oft heftig attackierenden und herausfordernden Worten der Besucher am Krankenbett und ihr steht wie eine unüberwindbare Barriere das Orchester, das (wie eben in dem Orchersterstück Ich suchte) keineswegs feine Stimmungen psychedelisch ausmalt. Das sind nicht selten robuste, oft betonharte Klänge. Sie schmerzen. Bei aller mikrotonalen Verfeinerung im Harmonischen ist Haas' Sprache eine sehr konkrete. Dass es keinen Weg gibt zur Seele und damit zur Sprache von Michaela, die diese Welt gerade noch nicht verlassen hat, das machen das schwere Blech, die insistierend dicht gesetzten Streicherflächen, Tamtam-Schläge und dergleichen überdeutlich.
Eine Aufführung von Koma verlangt nach weiten Strecken kompletter Dunkelheit, und das hat man auch in Salzburg so umgesetzt. Dunkelheit meint: nicht mal kleinste Lämpchen an den Pulten! Größtes Kompliment also vor dem Klangforum Wien, aber auch vor der neunköpfigen Sängergruppe. Da war wirklich viel auswendig zu lernen, denn in den langen Dunkelheits-Passagen sind keineswegs nur flächige Clusterklänge umzusetzen. Bas Wiegers war der Dirigent, der mit größter Umsicht koordinierte. Die größere Arbeit lag gewiss im Vorfeld der Aufführung. Dass diese langen Episoden ohne Noten vor Augen und ohne Blickkontakt zum Dirigenten überhaupt klappen, ist bester Beweis für die innere Logik der Haas'schen Komposition.
Georg Friedrich Haas ist ein Meister der Instrumentation, und in Koma zeigt er sich auch als ein Meister eines Vokalsatzes, der oft an eine Weiterentwicklung von Madrigalkunst erinnert. Die hoch emotionalen Glissandi sind so etwas wie ein Markenzeichen des Tonsatzes, in Vokalen wie im Instrumentalen. Sarah Aristidou hat die Sopran-Vokalisen der Michaela gestaltet, von hinten oben im stockfinsteren Konzertsaal: in jeder Hinsicht aus einer anderen Sphäre. Viele expressive Soli haben die Verwandten, die Sopranistin Pia Davila, der Countertenor Daniel Gloger und der Bariton Peter Schöne. Sie sind aber genau so oft im Ensemble gefordert, wenn sie als Gruppe einreden auf die Patientin. Durchwegs Stimmen in tieferer Lage auf der „Personal-Seite“: Susanne Gritschneder und Henriette Gödde als Ärztinnen, Karl Huml, Benjamin Chamandy und Raphael Sigling als Pfleger. Ein Ensemble, das man so erst zusammenbringen muss.
Hörfunkübertragung am 10. August um 19.30 Uhr in Ö1
Bilder: SF / Marco Borggreve (1); Marco Borrelli (2)
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Auf der Suche nach dem neuen Klang