Hirnmasse gegen die bösen Zungen
HINTERGRUND / DOMMUSEUM / PRIVATSAMMLUNG
09/11/17 So recht herzerfrischend ist manchmal unsere Religion. Die Zunge des heiligen Johannes Nepomuk galt als viel verehrte und oft nachgebildete Reliquie. Die Story um diese Zunge ist frei erfunden – und bei der Aufklärung der Angelegenheit hatte der langjährige Diözesankonservator und Leiter des Dommuseums, Prälat Johannes Neuhardt, seine Hand im Spiel.
Von Reinhard Kriechbaum
Aber das Sachliche zuerst: Seit kurzem befindet sich die Privatsammlung des Innsbrucker Kunsthistorikers und Priesters Norbert Möller im Besitz des Salzburger Dommuseums. Fasziniert von dem böhmischen Nationalheiligen, hat Möller 1360 Stücke zusammengetragen. Prälat Johannes Neuhardt war Studienkollege von Möller: „Ich kenne ihn und die Sammlung also seit meiner Jugend.“ Und weil Neuhardt in Herbert Batliner auch einen Mäzen bei der Hand hatte, kam diese Sammlung nun also nach Salzburg. Wenn es gilt, 2021 bzw. 2029 der Selig- bzw. Heiligsprechung des Johannes Nepomuk zu gedenken – er ist schließlich auch dritter Patron der Stadt Salzburg – wird man genug Material für Ausstellungen parat haben. In ein paar Schaukästen und Vitrinen im Dommuseum sind derzeit einige Filetstücke der Sammlung ausgestellt.
Die Zunge natürlich nicht, die lagert in einem Tresor in Prag. Womit wir bei der etwas makabren Geschichte um diese Reliquie wären.1393 ist Nepomuk erschlagen und dann in die Moldau geworfen worden. Als Prager Generalvikar war er Opfer von Machtstreitigkeiten zwischen Kirche und König Wenzel IV. Als man das Grab des Heiligen mehr als dreihundert Jahre später öffnete, fand man ein unverwestes Stück Geweberest in der Mundhöhle. Die Zunge, was sonst? Prompt setzte Reliquienkult ein, und vor allem die Jesuiten wussten ein solches Stück, das bald als himmlisches Hilfsmittel gegen böse Zungen angesehen wurde, in Bild und Kunsthandwerk effizient unters Volk zu bringen. Was man sieht, glaubt man bekanntlich gern. Davon lebt auch heute das Fernsehen.
Als der Salzburger Prälat Neuhardt 1973 im Dommuseum eine Ausstellung über den Heiligen ausrichtete, zettelte er ein kleines Sakrileg an: Er ließ die vermeintliche Zunge des Johannes Nepomuk histologisch untersuchen, und der medizinische Befund hat ergeben: Nichts da mit Zunge. Es ist ein Stück Kleinhirn. Immerhin: Feuilletonisten könnten um die Überlegung, erst das Hirn, dann die Zunge in Betrieb setzen - zuerst denken, dann reden - eine Herz und Geist erhebende Story schreiben.
Wieder ein Schritt in die (Salzburger) Gegenwart: Wegen seines Sturzes in die Moldau ist Nepomuk auch ein Patron gegen das Hochwasser. Als Brückenheiliger wacht er vielerorts in Stadt und Land Salzburg. Fünf Marmorfiguren schuf allein der Bildhauer Josef Anton Pfaffinger im frühen 18. Jahrhundert, darunter die schönste am Leopoldskroner Weiher. In der Bergheimer Kirche hat man Johannes Nepomuk schon als Figur auf den Altar gestellt, fünfzehn Jahre bevor er überhaupt heilig gesprochen war.
Noch ein Salzburg-Bezug: Nach der Schlacht von Königgrätz (1866) ließ der Prager Erzbischof die Gebeine – und die vermeintliche Zunge – eilends evakuieren. Drei Monate lang lagen sie in Kisten verpackt bei seinem Salzburger Kollegen Erzbischof Maximilian von Tarnóczy. Es war ein vieltägiges geistliches Volksfest, als schließlich ruchbar wurde, was man da in Salzburg gerade beschützte.
Also, mit der Zunge ist es nichts. Trotzdem gilt Johannes Nepomuk nach wie vor als Patron gegen Verleumdung und üble Nachrede. Echt ist wohl jener Halswirbel des Heiligen, den der Salzburger Erzbischof nach wie vor in seiner Privatkapelle am Kapitelplatz beherbergt. Eine Urkunde in Goldschrift bestätigt das kostbare Geschenk, das einst Erzbischof Leopold Anton Firmian in Prag erhalten hatte.