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Wir bei VW sind echt OK

ARGE KULTUR / FIRMENHYMNENHANDEL

18/11/13 „Alles dreht sich um Kultur, das ist die Menschheitsbildung pur“: Redaktion und Vollversammlung des DrehPunktKultur werden die Rechte an dem – in der Klangsprache zwischen Sciarrino und Schubert klug changierenden – Lied erwerben. Die „Firmenhymnenhändler“ haben überzeugt.

Von Heidemarie Klabacher

„Wir bei VW sind echt OK, denn der VW ist echt OK“, heißt es in einem der Beispielsongs aus dem Musterkoffer. Oder gar: „An die Zukunft glauben wir, in jedem steckt ein Pionier.“

Dass singen gut ist für das Gemeinschaftsgefühl, haben schon die Nazis gewusst. Landsknechte sind auch immer schon mit einem frohen Liedchen auf bärtigen Lippen in den Krieg gezogen. Und Wirtschaft ist auch nichts anderes als Krieg. Darum hat die Hymne (die Gänsehaut vor lauter Ergriffenheit beim Absingen von Nationalhymnen ist längst wissenschaftlich nachgewiesen) auch Einzug in die Wirtschaft gehalten.

Dass Mobbing, Burnout durch Über- oder Unterforderung, Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer Arbeitslosigkeit und Bankrott mit einer Firmenhymne nicht wirklich effizient verhindert werden können, wissen auch die Firmenhymnenhändler. Dennoch stehen sie zu ihrem Produkt.

Zu Gast beim Open Mind Festival in der ARGEkultur war am Samstag (16.11.) Thomas Ebermann mit seinem Stück „Firmenhymnenhandel“, das 2012 im Hamburger „Kampnagel“ uraufgeführt wurde.

Thomas Ebermann, 1991 ausgetretenes Gründungsmitglied der Grünen in Deutschland, seither Autor, Satiriker und Kabarettist, hat mit „Firmenhymnenhandel“ einen pointen- und zitatenreichen Rundumschlag gegen das moderne neoliberale kapitalistische - jedenfalls Menschen und Ressourcen rücksichtslos ausbeutende – heutige Wirtschaftssystem geschrieben. Stammbuch statt Stammtisch: „Je dreckiger es einem geht, umso größer ist der Wunsch, die Scheiße auch noch zu besingen.“

Ist nicht tatsächlich die Juniorchefin, zuständig fürs Betriebsklima, mit ihrer terroristischen Psycho- und Wohlfühlmasche die weit gefährlichere Ausbeuterin, als der martialisch polternde Seniorchef? Outet sich nicht der sensible Komponist als der weit radikalere Kapitalist, als der wackere Marketing-Chef? Oder haben sie – ganz tief drinnen – nicht doch ein paar Sehnsüchte, die kein Selbstfindungsseminar mit oder ohne Lama (nicht Dalei sondern Kamel) je zu Tage wird fördern? Kann man sich gegen das „System“ stellen und aussteigen?

Es dauert, bis sich solche Fragen stellen, denn der erste Teil des Stücks ist eine etwas langatmige Nummernrevue, in der ARGE noch dazu bei erbärmlicher Tonqualität: Bekannte Persönlichkeiten aus der deutschen „Szene“, von Christof Schreuf über Harry Rowohlt bis Rocko Schamoni, singen mit Todesverachtung die Beispielshymnen aus dem Musterkoffer der Firmenhymnenhändler. Einige haben durchaus Witz. Vor allem die  Kombination von Musik, Text, Interpretation und Interpret (aufmunternder Text, eingeschlafenes Gesicht) siedelt gelegentlich erfolgreich am Abgründigen. Das hat viel Witz, verhindert zugleich aber fast den halben Abend lang, dass das Schauspiel in die Ränge kommt.

Erst als sich der Seniorchef der Glasfabrik mit dem Marketingchef der Hymnenhändler zum „Vieraugengespräch“ zurückzieht und – auf der zweiten Bühnenhälfte - die Juniorchefin und der Kreativdirektor einander belauern, kommen die brillanten Schauspieler zu ihrem Recht.

Pheline Roggan, Rainer Schmitt, Robert Stadlober und Tillbert Strahl-Schäfer zeigen sich als facettenreiche, dabei zurückhaltend und subtil agierende Darsteller von Klischee-Figuren, die die Klischees, die sie zu transportieren haben, immer wieder erfolgreich unterlaufen. Wer die „Guten“ und wer die „Bösen“ sind, verschwimmt. Vielleicht sind auch nur alle zusammen verraten und verkauft?

Zitate großer Wirtschafts- und sonstiger Philosophen von Smith bis Adorno und Paraphrasen auf die Slogans der Ratgeber- und Selbstfindungsindustrie sprühen im Text von Thomas Ebermann Funken von Witz und Ironie. Der Unterhaltungseffekt ist so groß, dass das gesellschafts-, wirtschafts- und sozialkritische Anliegen im Pointen-Dauerfeuer unterzugehen droht. Aber egal, angesagt ist ohnehin der Tanz auf dem Vulkan.

Das Open Mind Festival dauert noch bis bis Samstag (23.11.) - www.argekultur.at

 

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