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Solide

LANDESTHEATER / DIE MÖWE

08/04/13 Solide, wie die Stahlkonstruktion auf der das Ganze spielt, ist diese „Möwe“: Die Spielfläche ist eine steilaufragende Scheibe, auf der sich die Darstellerinnen und Darsteller abmühen – mit der Schwerkraft und mit dem Text.

Von Heidemarie Klabacher

492Wie so oft bei Tschechow ist auch in der „Möwe“ eine Gesellschaft auf dem russischen Land versammelt, deren Mitglieder unterschiedlichen Stufen der Verzweiflung, des Lebensüberdrusses oder auch nur der Langeweile verhaftet sind. Die Liebe und ihre Nicht-Erwiderung spielt meist eine Rolle. Gerne auch der verzweifelte Kampf um Anerkennung, der meist in einer naiven Geltungssucht endet oder in der ebenso naiven Illusion einer besseren Welt im Ganz-Anderswo: „Nach Moskau!“ lautet der Sehnsuchtsruf der „Drei Schwestern“.

In der „Möwe“ ist eine repräsentative Tschechow’sche Verzweiflungsgesellschaft versammelt. Da gibt es – allen voran – eine „berühmte“ Schauspielerin: Irina, eine alternde Egoistin, die bei den jährlichen Sommerbesuchen auf ihrem Landgut in der Provinz ausschließlich von sich und ihren Publikumserfolgen monologisiert. Im Schlepptau hat sie ihren Liebhaber, einen „berühmten“ Schriftsteller, der angesichts eines jungen Nachbarmädchens, das ihn anhimmelt, eine Erzählung konzipiert, in der ein berühmter Mann beschließt, ein junges Mädchen, das ihn anhimmelt, zu vernichten.

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Dann gibt es noch die Familie von Irinas polterndem Gutsverwalter, die verhuschte demütige Ehefrau und die Tochter Mascha, die so verzweifelt in Konstantin verliebt ist, dass sie schließlich den Lehrer heiratet. Und natürlich gibt es, wie gern bei Tschechow, einen Arzt, einen scheinbar unbeteiligten zynischen Beobachter, der sich die Verzweiflung der Frauen zunutze machen weiß.

496Irinas Sohn Konstantin, der auch so gerne ein berühmter Schriftsteller wäre, ist eigentlich das Zentrum des Plots, hat aber keine Chance – schon gar nicht in der aktuellen Produktion am Landetheater in der Regie von Carl Philip von Maldeghem.

Peter Marton als Konstantin, Christoph Wieschke als Schriftsteller Trigorin, Axel Meinhardt als Gutsverwalter, Britta Bayer als seine Ehefrau und Shantia Ullmann als deren Tochter Mascha, Sebastian Fischer als Lehrer, Sascha Oskar Weis als Arzt, Pavel Fieber als alter Bruder der alternden Schauspielerin: Sie alle sprechen zweieinhalb Stunden lang solide ihren Text. Gar keine geringe Leistung auf der seilgesicherten Spielfläche im vierten Klettergrad von Karl-Heinz Steck.

Heraus sticht die Irina von Sona MacDonald, die am wenigsten Klettern muss und die für diese Produktion als Gast von der Wiener Josefstadt nach Salzburg eingeladen wurde. Sie hat alle Energie, die die andern nicht haben, in dieser Inszenierung nicht haben dürfen oder ins Nicht-Hinunterkollern investieren müssen. Sona MacDonald spielt ihre Energie – gerne mit weit nach oben geworfenen Armen - voll aus. Ein „Star“ und alle anderen als Staffage? Tschechow tut das nicht gut. Die Gemetzel unter russischen Birken wirken abgründiger, wenn der Konversationston einheitlich (im besten Fall sogar "locker") bleibt und nicht durch einen Soloclown zum Kippen gebracht wird.

495Eine Darstellerin bleibt noch zu erwähnen, jene Darstellerin, der man auf zweieinhalb Stunden immerhin zweieinhalb Minuten Poesie verdankt: Claudia Carus als vom Schriftsteller Trigorin zu Fall gebrachte Nina. Sie kehrt nach zwei Jahren „In Moskau!“ zurück. Psychisch und physisch gebrochen geistert sie über die Felder ihrer sinnlos zerstörten Jugend und rezitiert noch einmal die Eröffnungsverse aus Konstantins Theaterstück, das „damals“ von der Familie so gnadenlos verlacht worden ist. In dieser kleinen Szene wird die ausgestopfte Möwe für Augenblicke zum Symbol für etwas Kostbares, Zerbrechliches, Verlorenes.

Konstantin erschießt sich dann. Aber das ist egal.

Bilder: LT/Christina Canaval

 

 

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