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Ich war auf Geld gefasst - und er will Wahrheit

LANDESTHEATER / NATHAN DER WEISE

20/09/10 Schauplatz: Müllhalde, irgendwo an der  Mauer in der geteilten Stadt. Schütt, Gerümpel, Grünschnitt (Palmwedel). Erster Aufzug, erste Szene: Hausmeisterin, Manager und Jugendliche aus der Nachbarschaft spielen „Nathan spielen“.

Von Heidemarie Klabacher

altEin Ball, lockeren Fußes gekickt, überwindet im Fluge alle politischen, religiösen oder sonstigen Mauern in den Straßen und Köpfen der Menschen. Ein kleiner Bub von „drüben“ steht plötzlich im schwer bewachten Stahltor in der Betonmauer. Nervt schweigend. Seinen Ball will er! Die anderen haben Wichtigeres zu tun, nämlich zu klären ob es um Religion oder Menschlichkeit geht. Aber das Wichtigste - zumindest im Augenblick - ist der Fußball. Sultan Saladin kickt persönlich und trifft prompt eine Straßenlaterne jenseits der Mauer. Wiederholung.

altDas kann man nicht proben, das war ein Zufallstreffer bei der Premiere von „Nathan der Weise“ am Samstag (18.9.) im Landestheater. Regisseur Tim Kramer hat Lessings „Dramatisches Gedicht“ in den Staub der Bühne von Gernot Sommerfeld gesetzt, Sprache (fünfhebige Jamben) und Textgestalt ziemlich in Ruhe gelassen (danke) und erstaunlich aktuelle Probleme angesprochen. Dass man gerade in diesen Tagen in Österreich und Europa die Höhe von Kirchtürmen und Minaretten gegeneinander aufrechnen würde, hat man bei der Saisonplanung nicht wissen können. Nun ist es zufällig so, und Gotthold Ephraim Lessings Hohelied der religiösen Toleranz aktueller denn je.

altAuf Distanz zum Werk geht Regisseur Tim Kramer indem er das Stück beim Wort nimmt: So treten die Protagonisten immer wieder aus dem Spiel heraus und greifen zum Textbuch vorn am Bühnenrand. Saladin etwa liest vor: „Dritter Aufzug, fünfter Auftritt. Saladin und Nathan“ - und gibt sich selbst quasi den Einsatz zum Weiterspielen: „Tritt näher Jude. Näher…“ Das geschieht flott und beiläufig, mit dem Ergebnis vieler Augenblicke ironischer Brechung.

altWelch ausgezeichnete Idee, die steif daherstelzende Rolle des Tempelherren mit einem pubertierenden Trotzkopf zu besetzen. (Der „Tempelherr“ ist jener christliche Kreuzritter, der von Sultan Saladin begnadigt wird, das Judenmädchen Recha rettet und von Nathan schlussendlich als Neffe des Sultans und Bruder Rechas geoutet wird.) Sebastian Fischer darf sich - wenn er sich wieder einmal in seiner Ehre gekränkt oder von den „Großen“ betrogen glaubt - zum Schmollen seinen Rittermantel aus einem alten Duschvorhang oder dürre Palmwedel über den Kopf ziehen. Solcher Klamauk wird ebenfalls mit erfreulich leichter Hand eingestreut.

Saltascha Oskar Weis gibt den Sultan Saladin mit jener machohaften Selbstgefälligkeit, die zwar einem Max Müller (aus Müllers Büro) wohl ansteht, nicht aber einem um Erkenntnis ringenden Muselmanen. Interessant wird dieser Saladin erst, wenn er den Mund hält und zuhört. Gero Nievelstein ist in jeder Szene ein beeindruckend zurückhaltender, beinahe schüchterner Nathan. Ihm eignet gar nichts vom einem weisen Patriarchen.

altInsgesamt strömen Lessings Verse im Ensemble locker und natürlich. Umso weniger erklärt sich, warum Gudrun Gabriel als Daja (das ist die christliche Dienerin im jüdischen Hause Nathans) ihren Part gar so unverständlich krächzt und kräht. Ob man mit dieser Proletarierin die Intoleranz und/oder Verschlagenheit der Christen karikieren wollte? Das ist im Falle des Patriarchen von Jerusalem deutlich besser gelungen: Werner Friedl gibt ihn wie ein zufällig von der Straße hereingeholter Billig-Tourist.

Die Auflösung und Klärung der komplizierten Verwandtschafts-Verhältnisse und sonstigen Beziehungen zwischen den anwesenden Christen, Juden und Muslimen geht (man ist ja in Jerusalem) im Lärm von Fliegeralarm und Bombendetonation unter: Ein Gag, der Schmunzeln und Gruseln zugleich macht. „Nathan spielen“ ist tatsächlich nötiger den je.

Weitere Aufführungen: www.salzburger-landestheater.at / Christian Schneider
Bilder: Landestheater / christian Schneider


 

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