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Fake-Fundis und komische Käuze

SCHAUSPIELHAUS / NATHAN DER WEISE

20/09/24 Blickt man auf Wahlen in Deutschland und Österreich oder auf die Kriegshandlungen im Nahen Osten – da müsste Lessings Nathan der Weise eigentlich das Stück zur Stunde sein. Könnte es sein, dass die ach so polit-bewussten Theatermacher sich in Warteposition begeben, wenn's ernst wird?

Von Reinhard Kriechbaum

Den Schauspielhaus Salzburg gebührt jedenfalls schon deshalb Lob für die Entscheidung, mit Nathan der Weise die Saison zu eröffnen. Mag ja sein, dass dieses Paradestück der Aufklärumg auf den ersten Blick sprachlich reichlich antiquiert und auch in der Handlung sehr idealisierend daher kommt. Passt die Geschichte der zerrissenen deutschen Kreuzfahrer-Familie, deren zweite oder dritte Generation sich im gelobten Land zersplittert in drei verschiedenen Religionen wiederfindet, noch irgendwie in eine Zeit, in der man dort Feinde mit explodierenden Pagern ins Jenseits befördert? Jérôme Junod, Spielleiter und Chefdramaturg am Haus, lässt sich nicht ein auf solche vermeintlichen Aufführungs-Hindernisse sondern bricht als Regisseur erst einmal eine Lanze für den Nathan als einen Theatertext, aus dem nicht Seite um Seite der zu Toleranz und Friedfertigkeit mahnende Zeigefinger droht.

Junod liest aus Lessings Stück die Aufforderung heraus, auch Spiellust zu zeigen. Da sind ja Leute am Werk, die mit ihren Vorurteilen ins Leere rennen – oder eben einem anderen, der seinerseits von herkömmlichen Fake-Meinungen geprägt ist, in die Arme. Lessing lässt die wesentlichen Figuren – Nathan, Tempelherr, Sultan Saladin – einander ziemlich rasch die Hände reichen, aber sie alle brauchen auch als neue „Freunde“ eine ganze Weile, bis sich der Gedanke gegenseitiger Akzeptanz und Wertschätzung bis in die hinteren Gehirnwindungen durchspricht. Kurz: Bis es so weit ist, gibt’s nicht wenig ideologischen Slapstick. Das also hat Jérôme Junod mit enorm viel Witz herausgearbeitet, ja gelegentlich bis zu Persiflage überhöht. Wirkt befremdlich, wenn man aufklärerisch-hehren Ernst aus dem Jahr 1779 erwartet, ist aber in Summe überzeugend. Es schadet nicht, einem Lehrstück das Belehrende zu nehmen.

So poltern sie also herum und fegen über die Bühne: Marvin Rehbock als Tempelherr birst schier vor juveniler Kraft und Selbst-Überschätzung. Aber der erste Liebes-Gedanke ans vermeintliche Juden-Mädchen Recha, das er aus dem Feuer gerettet hat, hebt ihn vollends aus den Angeln. Recha (Julia Rajsp) und Daja (Sophia Fischbacher) sind tollende Gören, die schier durchdrehen beim Anblick des jungen Mannes. Urkomisch der Klosterbruder (Enrico Riethmüller), nicht nur wenn er mit dem Besen hantiert und sich dabei mit dem Zingulum selbst geißelt. Ein nicht minder eigenwilliger Kerl ist Al-Hafi (Rene Eichinger), unentschieden zwischen tanzendem Derwisch und Pausenclown. Der Klosterbruder und Al-Hafi, das sind jeder auf seine Weise Grenzgänger, denen sich vielleicht der einzig mögliche Ausweg anbietet, als komische Käuze durchs Leben zu gehen.

All das bewegt sich immer auf dem schmalen Grat zur Outrage, manchmal durchaus mit Abstürzen. Des Sultans Schwester Sittah (Kerstin Maus) hat im Gegensatz zu ihrem Bruder die Finanzen des Hofes im Kopf und deshalb Nathan im Auge. Saladin (Benjamin Muth) freilich ist einer auf der Softie-Seite. Nicht jeder Bartträger taugt zum potentiellen Terroristen, dieser Saladin ganz gewiss nicht.

Ja, Nathan! Olaf Salzer steckt im engen Anzug und hört den Judenhassern und anderen religiösen Eiferern gerne mit Weite im Kopf und Pokerface zu. Die Besserwisserei lässt er nicht heraushängen. Wie er vor dem Sultan die Ring-Parabel händeringend, wie Satz um Satz improvisierend, quasi aus der Erklär-Not geboren heraus quetscht – das ist schon eine Klasse für sich, deutlich über dem nicht übertrieben hohen Pegelstand der Schauspielkunst an diesem Abend. Diesen jedem Theaterbesucher bestvertrauten Monolog muss man erst so unverkrampft und eigenständig hinkriegen.

Agnes Hamvas hat sich ein Universalbühnenbild aus Stellwänden mit einer Podiumsschräge ausgedacht, das keine Umbauten nötig macht und keine konkreten Plätze suggerieren möchte. Ein Sofa, einige stilisierte Schachfiguren, aus. Eine runde Ausnehmung entpuppt sich als strenges Auge des als Person hinausredigierten Patriarchen. Da funkeln Neonröhren zornig – ein auf Parodie getrimmtes Gedankenspiel eines religiösen Fundis, bei dem offenbar auch Al-Hafi zwielichtig mitspielt. Die poppige Musik von David Lipp suggeriert den exotischen Ort. Und das gute Ende, wenn alle familiären Bande offen gelegt sind? Einer nach dem anderen beginnt gelöst zu tanzen, und diese Atmosphäre zwischen Clubbing und Bauchtanz unterstreicht nochmal das Spielerische des Abends. Vielleicht sollte man es in Gaza oder im Südlibanon auch mal mit Tanzen versuchen?

Aufführungen bis 9. April 1925 – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese

 

 

 

 

 

 

 

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