Psychothriller, Flüchtlingsdrama, Magermodels
TASCHENOPERNFESTIVAL / ARGE / KLANG21
23/09/13 Zwei Tote liegen im Sand - mit Badetüchern zugedeckt, betrachtet von zwei Touristen, die sich nicht stören lassen: Das Pressefoto hat 2008 für Empörung gesorgt, 2013 war es der Ausgangspunkt für die Musiktheaterstücke des „Taschenopernfestivals“ zum Thema „Endlich Opfer“.
Von Heidemarie Klabacher
Der Flüchtling, der am Strand von einem Touristen beschimpft und als Verursacher aller Übel seiner Welt angefeindet wird. Das bis auf die Knochen abgemagerte Fotomodell und der mit Anabolika zur absurden Plastik aufgepumpte Bodybuilder. Der Mann, der vielleicht ein Betrüger ist, auf jeden Fall aber die Herausgabe der Leiche des verunglückten Bruders vom Werksdirektor fordert. Die gefangene Frau im Keller des Psychopathen. Oder die Zelebranten eines geheimnisvollen Rituals: Sie alle lassen vielfältigste Assoziationen mit dem Begriff „Opfer“ zu. Sie alle sind Opfer – sei es einer aus den Fugen geratenen Weltwirtschaft, einer Gesellschaft oder auch „nur“ eines psychisch gestörten Individuums.
„Endlich Opfer“ ist das Motto des Taschenopernfestivals 2013. Von der untermalenden Theatermusik bis zur dichten inhaltlich und strukturell eng mit dem „Plot“ verwobenen Komposition reicht die Bandbreite: Fünf Musiktheater-Produktionen, zwei gesprochene Zwischenspiele ergaben (samt den präzisen beinahe choreographierten Umbauarbeiten) einen spannungsvollen kurzweiligen Abend. Insgesamt wird mehr gesprochen, als gesungen, Text weniger vertont als untermalt.
Das „Taschenopernfestival“ geht auf eine Initiative von „Klang 21“ zurück und findet seit 2005 alle zwei Jahre statt. 28 Musiktheater-Miniaturen sind in diesen zehn Jahren uraufgeführt worden. Kooperationspartner seit 2009 ist die ARGEkultur.
Es spielt – brillant und ambitioniert wie immer – unter der Leitung von Juan García Rodríguez das Österreichische Ensemble für Neue Musik. Schauspieler, Sänger, Performer – und heuer erstmals der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor – sind für die insgesamt vier Aufführungen in der ARGE aufgeboten.
Kein Motto sondern ein Bild war also heuer der Ausgangspunkt: Die Komponistinnen und Komponisten Cio D'Or, Natalia Gaviola, Brigitta Muntendorf, Hüseyin Evirgen und Filippo Perocco sind eingeladen worden, ihre Gedanken und Gefühle angesichts des „Strandidylls mit Leiche“ Musiktheater werden zu lassen – zusammen mit den Regisseuren Thierry Bruehl, Hans-Peter Jahn und Jürgen Palmer.
„Kammertheater mit Musik“ nennen die Komponistin Natalia Gaviola und der Texter Hans-Peter Jahn ihr „Stillleben mit Kanister“, das im Keller eines Psychopathen spielt: Kompliment an Julianna Herzberg, die auch in Akrobatenmanier an den Beinen kopfunter aufgehängt als Opfer ihren Zorn und ihre Contenance bewahrte.
Ein geheimnisvoller junger Mann der vom Werksdirektor die Herausgabe der Leiche seines verunglückten Bruders fordert entwickelt im Stück „Victim of Changes“ von Hüseyin Evirgen auf einen Text von Bernard-Marie Koltès trotz mangelnder Textverständlichkeit einen packenden Sog: eine (bei aller kürze) große Crescendo- und Spannungsstudie, über der die klaren Stimmen Mitglieder des Salzburger Festspiele und Theater Kinderchores Glanzlichter gesetzt haben. Einmal mehr eine hervorragende Leistung des viel gefragten Kinderchores sängerisch und darstellerisch.
Einen musikalisch untermalten Bilderreigen – mit Reklamefotos, Filmstils, Fotos von Magermodells, von Muskeln oder Fett entstellten Menschen, Naturstudien oder Kriegsschiffen – präsentiert Filippo Perocco mit seinem „Panorama“: Luxus, Dekadenz, Ausbeutung, Tod: Auch hier drängen sich unzählige Assoziationen auf. Cio D’Or hat in „Distanz“ zwei Monologe untermalt - mit eher sperrigem Material die Tirade des Touristen, der den Flüchtling beschimpft, mit eingängigen Harmonien und harmlosen Obertonspielereien den des Flüchtlings, der quasi sein letztes Hemd ablegt, davor aber ziemlich betucht gewesen zu sein scheint.
Weniger eine „Geschichte“ als einen atmosphärisch und musikalisch dichten rituellen Ablauf schildert die Komponistin Brigitta Muntendort mit ihrer Arbeit „Endlich Opfer“. Brillant und poetisch hat Hubert Schwaiger den Gesamt-Raum gestaltet mit unzähligen Glühbirnen unterschiedlichster Größen. Und die Glühbirne ist ja immerhin auch ein Opfer.