Verlorene Jugend, verlorene Träume
KULTURTAGE / ST. PETERSBURGER BALLETT-THEATER / EUGEN ONEGIN
24/10/12 Eine auf- und abschwebende Scheibe symbolisiert Sonne, Mond und flammende Sterne. Zeitlosigkeit suggeriert auch die schlichte Projektion einer Brücke: Dem Choreographen Boris Eifman genügen wie immer wenige Requisiten, um eine Geschichte modern gefasst zu erzählen.
Von Horst Reischenböck
Boris Eifman war mit seiner Truppe schon mehrfach bei den Salzburger Kulturtagen zu Gast. Am Dienstag (23.10.) machte das St. Petersburger Ballett-Theater auf seiner elften Europatournee im Großen Festspielhaus Station, bereicherte das Angebot der Kulturtage – und begeisterte mit „Eugen Onegin“ einmal mehr das Publikum.
Alexandr Sergejewitsch Puškins Versroman „Evgenij Onegin“ hatte durch die kongeniale „Veroperung“ durch Pjotr Iljitsch Tschaikowski eine unvergleichliche Wirkung. Dann nahm sich auch noch der legendäre Choreograph John Cranko dieses Sujets an. Ihm folgt Boris Eifman. Ihm geht es bei der Geschichte mehr um die Zeitlosigkeit des Vorwurfs – wie in Mozarts „Cosí fan tutte“ – und weniger um des Dichters Spiegelbild der Gesellschaft seiner Tage. Auch die heutige Jugend, nicht nur die Russlands, findet mitunter wenig Perspektiven, und aus purer Langeweile heraus entstehen dann letal endende Konflikte…
Die mannigfachen Szenen, wie harte Filmschnitte aneinandergereiht, beginnen mit dem Blick auf Onegins Desaster, nämlich mit Tatjanas Flucht aus seinen Armen in gesellschaftliche Sicherheit hinein. So nimmt Onegins Erinnerung das Geschehen gleichsam vorweg. Danach blendet Eifman zu chronologischer Abfolge zurück.
Die festliche Hochzeit mit dem (keineswegs blind wirkenden) General von Sergej Wolobujew garniert die berühmte Einleitung zu Tschaikowskis erstem Klavierkonzert. Die Musik kam natürlich wieder - aber in durchaus passabler Klangqualität – aus dem Lautsprechern. Pianist, Orchester, Rockband samt Elektronik für die Verfremdung weiterer Tschaikowski-Themen hätten wohl kaum mit auf Reisen genommen werden können.
Es herrscht auf der Bühne eine recht düstere Atmosphäre, der auch die dunklen Kostüme von Olga Schaischmelaschwili und Pjotr Okuniew entsprechen, aus denen lediglich Onegin rotgewandet absticht. Einziger Lichtblick - auch von der frühlingshaften Gewandung her – ist der der offenbar durch Gelsen „garnierte“ Landaufenthalt. Dort, in Begleitung vom Lebenslust ausstrahlenden Dmitri Fischer als Freund Lenski, der später zu Tschaikowskis unersetzbarer Musik den Verlust der Jugend beklagen wird, lernt Onegin Tatjana kennen.
Der Ausstrahlung von Oleg Gabischews als Titelhelden nimmt man es sofort ab, dass sich die fast zerbrechlich wirkende Lubow Andrejewa als Tatjana spontan in ihn verliebt. Ihren - zur Opernmelodie geschriebenen - Liebesbrief tut er allerdings quasi mit einem Achselzucken ab: „Liebe ist nur ein Spiel und Täuschung der Phantasie“. Stattdessen flirtet Onegin auf Tatjanas Namenstagsparty mit deren Schwester Olga, die von Ekaterina Schigalowa getanzt wird.
Das immer wieder perfekt synchronisiert wirkende Cor de Ballet ruft dabei zur rhythmisch fetzenden Rockmusik von Aleksandr Sitkowetzki Reminiszenzen an die „West Side Story“ wach. Durchaus nicht so abwegig. Kommt es doch zum tödlichen Konflikt mit Lenski. Passend zur Musik gibt es kein antiquiertes Pistolenduell, stattdessen ersticht Onegin kurzerhand seinen Freund - dessen Geist ihn zur Verzweiflung ob seines sinnentlehrten Lebens treibt. Zumal ihn auch Tatjana, die zu den Walzerklängen der Oper mit Trockenhaube und Massage fit für die Hochzeit gemacht wird, mit seiner neuerlichen Werbung abblitzen lässt.
Der konsequent Bild für Bild logisch nachgezeichnete Abstieg Onegins und die technische Brillanz von Solisten und Truppe zogen im Laufe des Abends immer stärker in ihren Bann. Das Publikum geizte nicht mit jubelnder Zustimmung.