Des Meeres und der Liebe Strand
UNIVERSITÄT MOZARTEUM / ACI GALATEA E POLIFEMO
20/06/12 Da hat er den jugendlichen Rivalen erfolgreich zerschmettert, tanzt freudig torkelnd daher über den steinigen Strand – rote Blume in der Faust – und muss verwundert feststellen, dass er noch immer zurückgewiesen wird. Fast möchte man Mitleid haben mit Polifemo.
Von Heidemarie Klabacher
Mit dem einäugigen Menschen fressenden Ungeheuer hat der Polifemo aus dem Schäferspiel des jungen Georg Friedrich Händel nur mehr Naivität und Tölpelhaftigkeit gemein. Polifemo in der Lesart des Mozarteum-Hausregisseurs Eike Grams hat sogar ein gerüttelt Maß erotischer Ausstrahlung: Aci, der zarte jugendliche Liebhaber, muss sich einiges anschauen und noch dazu arg zausen lassen von dem groben Kerl. Fast kriegt man Angst um die Sängerin, die am steinigen Meeresufer - in das die gesamte Bühne im Großen Studio verwandelt wurde – wie ein Kohlensack herumgeschleudert wird. An diesem kahlen Geröllgestade erwachen die Liebenden aus sanftem Schlummer, umwirbt der ungeschlachte Polifemo erfolglos die Meeresnymphe Galatea, hier wird der Hirte Aci erschlagen, sein Blut in einen Bach, er selber zum Flussgott verwandelt. Im Meer vereinen sich schließlich Nymphe und Neo-Gott - und Polifemo bleibt einsam zurück…
Es ist eines der bezauberndsten Werke der Musikgeschichte (und hat Händel drei Jahrzehnte und mehrere Fassungen lang beschäftigt), das die Institute für Alte Musik und Musiktheater des Mozarteums als Sommerproduktion in der Regie von Eike Gramss auf die Bühne gebracht haben. Eike Gramss' Regie besticht – wie immer – durch ihre scheinbare Schlichtheit und Geradlinigkeit, die umso tiefere Einblicke in die Charaktere der Protagonisten ermöglicht. Dass Polifemo statt eines Felsblocks einen zerbeulten Scheinwerfer auf Aci wirft, ist einer jener leichtfüßig ironischen Kniffe, die die Regiearbeiten von Eike Gramss zum Vergnügen machen. Spannend auch der Einsatz des Lichtes, der die kahle Szene in kräftiges Rot, Rosa oder Gelb und damit jeweils eine ganz eigene Stimmung taucht.
Der Text – von Nicola Giuvo zusammengestoppelt nach Ovid – ist keine psychologische Tiefenstudie, bot dem Komponisten aber genug Material für wundersam klangmalerische Genreszenen: Die Zerrissenheit des Polifemo zwischen Liebe und Hass, die Angst der Galatea, der verzweifelte Mut des Aci finden Ausdruck in Bravourarien mit höchstem Anspruch, dem die Premierenbesetzung mit soliden Leistungen gerecht geworden ist.
Die Sopranistin Leigh Michelow sang die Hosenrolle des Aci – mit berührender Leichtigkeit und klaren strahlenden Koloraturen. Die Intonationstrübungen lassen sich vielleicht noch beheben. Ihre Arie „Qui l’augel da pianta in pianta“, mit dem Aci die mit traurigem Herzen die fröhlichen Vögel besingt, gehört zu den berührendsten Momenten der Produktion.
Dara Savinova ist eine Galatea mit einem beweglichen und doch warmen und vollen Alt, von dem man sich einzig da und dort mehr Konsonanten gewünscht hätte. Optisch ist sie ein Glücksfall für Regisseur und Publikum.
Lachlan W.A. Schott singt in beiden Besetzungen den Polifemo. Der im Grunde tragischen Figur gehört spürbar die Sympatie des Regisseurs. Diese Rolle erfordert einen gewaltig großen Tonumfang, der denn auch die vielen Lagenwechsel nur allzu deutlich hat hörbar hat werden lassen – besonders in der Arie „Fra l’ombr e gl’ orrori“, die die gespaltene Seele des Berserkers mit dem kindlichen Gemüt deutlich macht.
Hier war der Sänger allerdings weitgehend auf sich allein gestellt – Begleitung, gar Führung wurden drei Protagonisten aus dem Orchestergraben am Premierenabend (Dienstag, 19.6.) nicht recht geboten: Dort schien man mit dem Abliefern der rhetorischen Floskeln hinlänglich beschäftigt. So viele beredt musizierte Solopassagen die Musiker auch haben hören lassen (die Oboe ganz vorne zu nennen): Konzertmeister und Leiter Hiro Kurosaki hatte mit den anspruchsvollen Geigen-Solopassagen hinlänglich zu tun. Es spricht im Ernstfall schon sehr viel für einen Dirigenten.