Überlänge statt Überschall
LANDESTHEATER / LA CENERENTOLA
08/12/11 Karoline, die stürmische Lawine, saust in der Gegend herum und treibt andere, den Ritter Kamenbert etwa, zu Heldentaten an. Cenerentola fliegt auch - seit Mittwoch (7.12.) im Landetheater - mit Pilotenbrille auf dem Schaukelpferd. Leider nicht mit Überschall, sondern mit Überlänge. Ein Hit wird diese "Cenerentola" vermutlich erst in der durchgeputzen Fassung für Kinder ab März.
Von Heidemarie Klabacher
Auch das Outfit dieser Cenerentola passte durchaus zur temperamentvollen „Düsenjetmaschine“ aus dem Kindermusical: Violette Strümpfe und formlosen orangefarbenen Rock trägt das Aschenputtel von heute am Herd. Zum Ball des Prinzen fliegt man im frechen Tüll-Mini mit Neonstickerei auf der Corsage. Pilotenhaube und Fliegerbrille sind die Accessoires. So angetan fliegt sie über einen üppigen Dschungel, der liebevoll auf einen Drehzylinder aufgemalt ist und an die Wälder mit Löwen und Tigern von Henri Rousseau erinnert, in den Schlossgarten...
Die Ausstattung von Christian Floeren ist bunt und üppig und doch in vielen Details immer wieder ironisch modernisierend. Es gibt neben Fernseher und Weinflaschen eher wenige Requisiten (die dafür aber alle fliegen können, wie Herd oder Pferd). Atmosphäre und Stimmung kommen ganz von den brillanten Bühnenmalereien. Das Schloss des versoffenen Stiefvaters - Don Magnifico - ist schäbig. Handy haben - außer Cenerentola, sympathisches Mädchen - alle. Auch die ebenso eitlen wie dummen und herzlosen Stiefschwestern. Werden wohl einen günstigen Vertrag haben, denn das mütterliche Erbe Angelinas - so heißt Rossinis Cenerentola - ist längst durchgebracht: Der Prinz muss anbeißen.
Es ist viel zu sehen in Carl Philip von Maldeghems detailreicher Inszenierung von Gioachino Rossinis Dramma giocoso „La Cenerentola“ im der Ausstattung von Christian Floeren. Der Männerchor marschiert mal als Gockelparade auf und macht sich als fröhliche Wandergesellschaft mit Rucksäcken auf die Suche nach dem Aschenputtel.
Die Sängerinnen und Sänger bieten allesamt hervorragende Leistungen. Rossinis Ensembles - in denen meist jeder bei sich die jeweils neue Situation reflektiert - werden in der Lautstärke perfekt ausgelotet aus dem Piano aufgebaut und effektvoll gesteigert. Jede Stimme ist zu hören: die oft beinahe pizzicatoartig hingetupfen Figuren der Männerstimmen ebenso, wie die strahlenden Linien der Frauenstimmen.
Allesandro Luciano ist der Prinz Don Ramiro, ein hervorragender Techniker mit sicherer Höhe, der alle Koloraturen und Verzierungen fein gestaltet - freilich weniger temperamentvoll und sinnlich als überkorrekt und präzise. Wenn er tanzt - ziemlich cool - hat er all die Lockerheit und alles Selbstbewusstsein, die ihm beim Singen da und dort fehlen. An Selbstbewusstsein - und Klangfarben in der Stimme - gebricht es Simon Schnorr dagegen nicht. Wer schon als Graf in Mozarts Figaro überzeugt, brilliert erst recht als Rossinis Dandini: Das ist der Kammerdiener und Barbier, der aber die längste Zeit den Prinzen auf Brautschau spielt - während der richtige Prinz als unbeachteter und verachteter Diener die Kandidatinnen auf Herzensgüte prüft. Karolina Plickvová und Emily Righter als Clorinda und Tisbe fallen in der Charakterprüfung schmählich durch, überzeugen aber darstellerisch als temperamentvoll zickige Komödiantinnen und sängerisch mit technischer Souveränität und klanglicher Brillanz. Marcell Bakonyi ist der würdevolle Alidoro, bei dem man in dieser Inszenierung nicht zu entscheiden wüsste, ob er nun Prinzenerzieher oder Zaubermeister ist.
Hubert Wild gibt mit Lust am Grauslichen den versoffenen Don Magnifico. Die Maskenbildner des Landetheaters haben vermutlich alle Hände voll zu tun, bis der junge schlanke Sänger als alter Fettwanst dasteht. Sängerisch überzeugte Hubert Wild, seitdem er am Landetheater ist, in bisher jeder Rolle. Die polternden Betrachtungen des Don Magnifico bringt er präzise artikuliert und mit Klangfülle: ein wahrer Vorfahr des Ochs auf Lärchenau.
Und Tamara Gura schließlich ist die Hauptperson: Angelina/Cenerentola. Ausgebeutet, misshandelt und um ihr Erbe betrogen vergilt sie Böses mit Gutem, verzeiht den schäbigen Verwandten und hält den künftigen Herrn Gemahl davon ab, diese zu bestrafen. Soviel Güte hat in dieser Inszenierung ihr Korrektiv in der unsentimentalen Grundhaltung dieser Cenerentola, die tatsächlich immer wieder die „Karoline“ aus dem Ritter Kamenbert erinnert - trotz der traurigen Lieder von der Hoffnung auf die Liebe des Prinzen. Tamara Gura verfügt über eine samtig dunkle Stimme und eine souveräne Technik. Ihre Kantilene ist von sicherem Atem getragen, ihre Koloraturen sind präzise und perlen voll Schwung. Zu Beginn der Premieren-Aufführungen hat es einige Balance-Probleme mit dem Orchester gegeben, bei denen die Sängerin für Augenblicke kaum mehr zu hören war. Das hat sich aber eingependelt. Den dunklen Ton der Stimme von Tamara Gura wird man lange und gerne im Ohr haben.
Das Mozarteumorchester trägt die Sängerinnen und Sänger. Immer wieder lassen Bläserfiguren aufhorchen. Von Leo Hussain wünschte man sich da und dort mehr Drive im musikalischen Gesamtkonzept. Die Oper hat - das soll nicht verschwiegen werden - durchaus ihre Längen, sie ist erbarmungslos ungekürzt. Nicht nur das „lieto fine“ mag sich nicht und nicht einstellen. Nach dreieinviertel Stunden Buffo-Oper ist man ordentlich mürbe gesessen.