Liebe in der Fahrradwerkstatt
LANDESTHEATER / MARTHA
16/03/25 Er kam auf die Welt, um Martha zu komponieren: Friedrich von Flotow. Das Salzburger Landestheater präsentiert nun diesen Welterfolg von anno dazumal in einer im heutigen Londoner Stadtteil Richmond spielenden, nicht durchwegs schlüssigen, aber effektvollen Inszenierung und musikalisch sehr erfreulich. Der unterhaltsame Abend endete jedenfalls in allgemeiner Begeisterung.
Von Gottfried Franz Kasparek
Der weltläufige Mecklenburger Aristokrat hat achtzehn Opern in französischer und deutscher Sprache, drei Ballette und viel Instrumentalmusik geschaffen. Außer dem romantisch-komischen Vierakter rund um die spaßeshalber sich als Magd verdingende Lady Harriet ist noch Alessandro Stradella heute geläufig, aber nur, weil Tenöre immer noch gerne das Mariengebet daraus singen. Martha, der Geniestreich eines begabten Eklektikers, war seit der Wiener Uraufführung 1847 bis ins 20. Jahrhundert hinein eine der meistgespielten Opern überhaupt. Seit das Stück 1986 von Loriot mit viel Witz wieder entdeckt wurde, ist es zumindest im deutschen Sprachraum ins Repertoire zurückgekehrt.
Flotow, dessen intensives Künstlerleben einen Roman wert wäre, war als junger Musiker der Klavierpartner des Cellovirtuosen Jacques Offenbach. Das merkt man der handwerklich souverän durchkomponierten und farbig instrumentierten Partitur an. Es ist weniger die deutsche Spieloper Lortzings, sondern viel mehr Offenbach'scher Esprit, der das Werk auszeichnet. Daneben waren die „Opéra comique“ und Rossini wesentliche Impulsgeber. Wer die am Kontinent sträflich vernachlässigten britischen Opernkomödien aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kennt, findet dort weitere Wurzeln. Der große Schlager von der letzten Rose beruht auf einem irischen Volkslied. Doch auch um eigene, mit viel Brio zündende oder charmant lyrische Melodien war Flotow nicht verlegen. Aus dieser Mixtur wurde der Glücksfall einer „deutschen komischen Oper“ von europäischem Format.
Gleich vorweg: Der junge Zweite Kapellmeister des Landestheaters, Tobias Meichsner, schafft mit dem mit vielen Soli glänzenden Mozarteumorchester eine schöne, klangvolle Basis für das Ensemble auf der Bühne. Dass die Sache mitunter etwas laut wird, hängt wie immer mit der Akustik des Hauses zusammen – vielleicht könnte man da und dort ein wenig vom an sich mitreißenden Elan zurücknehmen. Bewundernswert ist der von Mario El Fakih einstudierte, sehr bewegliche Chor, aus dem auch eine Reihe kleinerer Rollen in hoher Qualität besetzt sind.
Nicole Lubinger bewältigt die lyrische Koloraturpartie der Martha, wie sich die Lady als Magd nennt, mit bestens geführtem, hellem Sopran und spielt sie, in dieser Inszenierung als eine sich langweilende Studentin, mit viel Emphase. Schön, wie sie die Liebe zum Bauern Lyonel, hier gemeinsam mit seinem Bruder Besitzer einer Radwerkstatt, intensiv entdeckt und erlebt.
Dass Lyonel sich im letztlich glücklichen Finale als standesgemäßer Spross eines Grafen entpuppt, ist ein uralter Theatercoup, der immer noch funktioniert. Die Gegensätze zwischen verschiedenen Schichten der Gesellschaft sind übrigens nicht ausgestorben. Luke Sinclair ist absolut glaubwürdig in seiner Rolle und prunkt mit saftigem, höhensicherem Tenor. Martha, Martha, Du entschwandest“ greift auch ans Herz.
Besagter Bruder Plumkett hat ebenfalls das Herz am rechten Fleck und wird von George Humphreys voll volkstümlicher Laune perfekt dargestellt. Mit energischem Bariton singt er nicht nur den bekannten Lobpreis des Porter-Biers, sondern gegen Ende auch eine eingelegte Arie, die zwar nicht von Flotow ist, sondern von einem Anonymus, aber in ihrer eleganten Poesie aus Hoffmanns Erzählungen stammen könnte. Auch er wird glücklich – mit Nancy, der Zofe der Lady, die hier eine Freundin derselben ist, was mit dem Text nicht immer zusammenpasst. Kaum zu glauben, dass die warm, beseelt und doch auch pfiffig tönende, couragiert agierende Mezzosopranistin Mona Akinola ein Mitglied des Chors ist – was jedoch die große Qualität desselben beweist.
Dazu kommt noch der „Basso profondo“ Daniele Macciantelli, der die steifleinerne Attitüde des erfolglosen Lady-Verehrers Lord Tristan geradezu Mitleid erregend komisch gestaltet.
Die Inszenierung von Christiane Lutz ist insofern geglückt, als sie die Geschichte ohne allzu viel Verfremdungen mit kluger Personenführung erzählt. Der biedermeierliche Text von Friedrich Wilhelm Riese wurde kaum und wenn, dann behutsam geändert. „Mägdemärkte“, auf denen arme Mütter ihre Töchter an Bauern verkaufen, gibt es wohl nicht mehr, da darf man heute an ausbeuterische Personalvermittlungen denken. Im zweiten Akt in der Werkstatt mangelt es leider an der sensiblen Poesie, die Flotow zur Schilderung entstehender Liebe am Lande aufgeboten hat – es geht hier nicht nur um billige Lacher. Da die Mägde nichts zum spinnen haben, drehen sie missmutig Räder im Kreis.
Nach der Pause wird das Konzept schlüssiger, Dass die aristokratische weibliche Jugend der Stadt mit Hirschgeweihen am Kopf in Ermangelung eines Waldes offenbar auf einen Jägerball geht, ist ein netter Einfall. Die Radwerkstatt dreht sich und wird zur historisierenden Event-Location. Natascha Maravals gut ausgeleuchtete Bühnenbilder zwischen modernem Loft und an Wiener Stadtbahnbögen erinnernde Arbeits- und Vergnügungsräume schaffen Atmosphäre. Natürlich geht es heute leider nicht mehr ohne Videos, und das Herumgefuchtel mit Smartphones und Laptops darf auch nicht fehlen – ist aber derzeit einfach Realität. Die modernen Kostüme von Dorothee Joisten sind kleidsam knallig. Insgesamt ein hörenswerter und ansehnlicher Opernabend.
Aufführungen bis 12. Juni – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: SLT / Tobias Witzgall