Mit einer großen Kutsche, gezogen von zwei täuschend echten Rappen, trifft die achtzehnjährige Manon Lescaut in Amiens ein, um von dort auf Befehl des Vaters ins Kloster zu übersiedeln. Möglicherweise hat ihr Vater schon vorausgesehen, dass sie aufgrund ihres Hangs zu Gold und Luxus leicht in die Halbwelt abdriften könnte. Auf dem Kutschbock sitzt ein Kutscher mit Totenmaske als untrügliches Zeichen dafür, dass die Geschichte nicht gut ausgehen wird.
Und so ist es auch: Zwar verliebt sich Manon in den mittellosen Studenten Des Grieux und flieht mir ihm nach Paris, landet aber schließlich als Mätresse beim reichen Geronte, der schon auf der Reise nach Amiens einen Blick auf sie geworfen hat. Ihr Wunsch nach Geld, Gold und einem finanziell sorglosen Leben sind zunächst stärker als die wahre Liebe.
Barrie Kosky und sein Bühnenbildner Rufus Didwiszus lassen als Bild für das finanziell sorglose Leben bei Geronte eine goldene Prunkkutsche auffahren, für die es spontan ein bisschen Szenenapplaus gab. Dass sich Manon aber in dieser Welt nicht wirklich wohlfühlt, zeigt sie in der Tanzstunde, in der sie tranceartig für sich tanzt, anstatt den Anweisungen des Tanzmeisters mit Allonge-Perücke zu folgen.
Eine wichtige Rolle spielt Manons Bruder: Lescaut ist ein zwielichtiger Strippenzieher, der ihren Weg in den Abgrund befördert. Er verkuppelt seine Schwester mit dem alten, biederen Geronte, der vielleicht sogar ein Doppelleben als Familienvater und Liebhaber führt. Lescaut kann sich dank der „Arbeit“ seiner Schwester ein bequemes Leben machen, bei seiner Schwester Austern schlürfen und vor allem auchseinen Alkoholbedarf decken.
Doch plötzlich taucht Des Grieux wieder auf und entfacht Manons Liebe von Neuem. Geronte überrascht sie in flagranti. Die Flucht missglückt jedoch, weil Manon sich auch im dem ernsten Moment nicht von ihrem Schmuck trennen kann. In einer schwarzen Droschke wird sie abgeführt, um schließlich mit anderen jungen Frauen mit ähnlicher Vergangenheit nach Amerika in eine Strafkolonie deportiert zu werden. Des Grieux lässt sich miteinschiffen. In der Wüste kann dann die Beiden nichts Materielles mehr voneinander trennen. Eine Zukunft hat ihre Liebe aber auch nicht; kaum haben sie noch die Kraft, ihren Wagen mit den wenigen Habseligkeiten zu ziehen. Gemeinsam sterben die beiden Liebenden schließlich den Tod durch Verdursten.
Barrie Kosky, der nach La fanciulla del West 2014 seine zweite Puccini-Oper in Zürich inszeniert, bietet nicht nur einiges fürs Auge, sondern vor allem eine konzentrierte Personenführung. Trotz zart sichtbaren Rokoko-Landschaften auf der Rückwand des betongrauen, kalten Bühnenraums und teilweise historisierende Kostüme (Klaus Bruns) wirken die Protagonisten ganz heutig und zeitlos, fast schon archetypisch. Des Grieux ist der um die geliebte Frau mit aller Kraft ringende Mann, den Rollendebütant Saimir Pirgu mit passioniertem, temperamentvollem Spiel-Volleinsatz gibt. Stimmlich punktet er mit Schmelz und viel Strahlkraft. Auf der Strecke bleibt zuweilen eine gewisse dynamische Abstufung.
Mit Elena Stikhina ist Manon Lescaut mehr eine Frau in der Blüte des Lebens als eine noch nach ihrem Weg Suchende. Mit ihrem cremig-warmen, goldenen Timbre und mitreißender vokaler Emphase ist sie stimmlich eine Idealbesetzung und wird zu Recht vom Publikum umjubelt.
Der junge russische Bariton Konstantin Shushakov singt Manons Bruder Lescaut sonor, wirkt aber zu brav für einen charakterlich so verdorbenen Typen. Shavleg Armasi als Geronte stattet den scheinbaren Biedermann mit kleinen Geheimnissen mit seinem sattem Bass aus. Der Chor, Musizierende und feierndes Volks in Faschingslarven, kommentiert der griechischen Tragödie ähnlich das Schicksal Manons, ist gut geführt und darf sich aktiv spielend einbringen. Allerdings brauchten vor allem die Damen am Premierenabend ein bisschen Anlaufzeit, bis sie sich als homogener Gesamtkörper präsentierten (Einstudierung: Ernst Raffelsberger).
Marco Armiliato, in dessen Händen die musikalische Leitung liegt, ist schließlich ein routinierter Puccini-Dirigent. Unter ihm spielt die Philharmonia Zürich die herzerweichenden Melodien flüssig, präzise und doch mit viel Schmelz und Sinnlichkeit. Je nach Platz wäre ein bisschen mehr dynamische Zurückhaltung wünschenswert, haben doch vor allem die Comprimarii zeitweise Mühe, sich gegen die Dezibel durchzusetzen.