Der Literat, seine Ziegen und seine Postkarten

FILMFESTIVAL RADSTADT (I) / BODO HELL

05/11/24 „Mit Bodo Hell war schon ausgemacht, dass wir den Film zeigen und er dabei sein wird“, sagt Elisabeth Schneider über Othmar Schmiderers Dokumentation Am Stein aus dem Jahr 1995. „Nun ist bekannterweise alles anders.“ Der Literat und Almhirte Bodo Hell ist seit dem Sommer eben am Schauplatz dieses beeindruckenden Films verschollen.

Von Reinhard Kriechbaum

Das 23. Filmfestival Radstadt bringt unter anderem einen kleinen Schwerpunkt zum 70. Geburtstag des aus Lofer stammenden Filmemachers Othmar Schmiderer. Am Stein dokumentiert das Leben und Arbeiten von Bodo Hell auf der Grafenbergalm am Dachstein, wo er über Jahrzehnte im Sommer als Almhirte tätig war. Bodo Hell hat immer wieder Filmemacher angeregt, selbst Experimentalfilmer. Die Luxemburgerin Bady Minck beispielsweise hat ihn zum Hauptdarsteller eines aus Bild-Schnipseln zusammengesetzten Films Im Anfang war der Blick (2013) gemacht. „Man stelle sich ein Österreich-Portrait vor, gedreht von Jan Svankmajer und David Lynch“, schrieb die Süddeutsche Zeitung über diese cineastische Phantasterei, in der Bodo Hell und die Filmemacherin ein Österreich-Bild aus Postkartenmotiven puzzeln.

Erst heuer fertiggestellt wurde In Bewegung – Signal am Dachstein von Stefanie Weberhofer, eine Kompilation von vierzehn Kurzfilmen, für die sich die in Schladming geborene Stefanie Weberhofer mit ihrer handlichen Super 8-Kamera zwei Jahre lang in der Region umsah, um sich auf kreative Weise mit den Fragen des menschengemachten Klimawandels auseinandersetzen. Alles ganz analog – und experimentell. Auch da war Bodo Hell ein wesentlicher Ideenbringer.

Othmar Schmiderer war oft Gast auf der Grafenbergalm. Im Augenblick. Die Historie und das Offene ist ein Essayfilm von 2012/13. Philosophische Fragestellungen, was Mensch und Tier voneinander unterscheidet, sind Ausgangspunkt für einen filmischen Diskurs, in dem Ziegen als Projektionsfläche und als „Darstellerinnen“ fungieren. Bodo Hell vergleicht Textfläche und Weidefläche, das Ergebnis ist eine Parabel über das Verhältnis von Mensch und Tier, Subjekt und Objekt, Denken und Leben.

Weitere Filme von Othmar Schmiderer beim Filmfestival Radstadt: Für Josef Hauser – Klang und Raum beobachtete der Dokumentarfilmer 1988 einen Uhrmacher und Bauern in einem Tiroler Dorf – arbeitet über Jahrzehnte eine Vision verfolgte: die Konstruktion einer Klangmaschine aus modifizierten Uhrwerken, die sphärische Glockentöne erzeugt, in einem Holzmodell eines gotischen Turms als architektonischen Entsprechung seines Klanggebildes. Höhepunkt des Films ist der Moment, in dem Josef Hauser nach jahrelanger Arbeit sein „Gesamtkunstwerk“ in Gang setzt.

Mit Stoff der Heimat hat der 1954 geborene Othmar Schmiderer in Zusammenarbeit mit der Tiroler Volkskundlerin Elsbeth Wallnöfer 2011 Furore gemacht. Es geht um Tracht als Konstruktion von Identität und Heimat. Dirndl, Lederhose, Janker, Wadlstrümpf – an der Tracht scheiden sich die Geister. Doch Identität stiftet sie allen und allen bietet sie Heimat: der Modedesignerin, die englische Vorhangstoffe verarbeitet; der Künstlerin, die die Dirndl-Moschee erfindet; den Schuhplattlern und den Schützenvereinen. Zu Beginn des Films entdeckt Schmiderer die Bekenntniskleidung in der Ecke der konservativen Politik, die sie zu niederen manipulativen Zwecken einsetzt. Dort holt er sie sodann heraus und setzt zum Streifzug an. Quer durch die Milieus, quer durch die Geschichte, quer durch die Regionen. (Wird fortgesetzt)

Das 23. Filmfestival Radstadt beginnt morgen Mittwoch (6. November). Bis 10. November im Zeughaus am Turm – Das Programm zum Downloadwww.daszentrum.at
Bilder: Programmheft Filmfestival Radstadt
Zum Teil 2 Wo Lebensmodelle neu zu denken sind