Löwe, Frosch und Ziegenbock. Ente, Pardel, Drachenkopf. Feine Gräser, zarte Blüten und gewaltige Bäume. Dazu der erste Mensch, die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies und gleich einmal der erste Mord... „Biblische Geschichte“ aber nicht auf Pergament oder Papier, sondern auf dem Webstuhl „gemalt“ mit Wolle und Seide.
„Erstmals können alle sechs Tapisserien, die in Brüssel im 17. Jahrhundert aus Wolle und Seide hergestellt wurden, mit ihrer Fülle an Details aus der Nähe betrachtet werden“, sagte Reinhard Gratz, der Direktor des Dommuseums, bei der Presseprästenation heute Donnerstag (6.3.) im Nordoratorium des Salzburger Doms. Die Details sind überwältigend. Allein die Tiere im Gänsemarsch - der da noch nicht so heißen konnte, weil die frisch geschaffenen Lebewesen sich gerade erst in Reih und Glied aufstellten, um vom - ebenfalls neu erschaffenen Adam ihre Namen zu erhalten. Die Blüten und Gräser, die Blätter der Bäume: Ein Paradies auch für den Naturkundler, der sicher viele Gewächse eindeutig bestimmen kann.
Sechs Szenen aus der Genesis also, gewirkt in der Manufaktur des Jan Aerts in Brüssel. Die größte misst 414 mal 710, die kleinste 417 mal 440 Zentimeter. Die Entwürfe stammen von dem von Raffael beeinflussten Maler Michiel Coxcie (1499–1592) aus Mechelen in Flandern, im heutigen Belgien. Die Entwürfe wurden übrigens für mehrere Werkzyklen in verschiedenen Manufakturen für verschiedene Aufftraggeber verwendet. Ursprünglich bestellt hat die Genesis-Serie der polnische König Sigismund II. August um das Jahr 1550 für die Ausstattung vom Schloss auf dem Wawel in Krakau.
Die Salzburger Tapisserien seien nicht, wie lange angenommen, für die Weihe des Salzburger Doms 1628 bestellt worden, berichtet Direktor Gratz. „Eine knappe Rechnungsnotiz“ spreche eher für Fürsterzbischof Sigismund Schrattenbach, der 1761 für „die Spallier im Dom“ fünftausend Gulden aus seiner Privatschatulle gespendet habe, so Gratz. „Spalier“ wurde im 18. Jahrhundert eine Tapisserie genannt.
Seltsamerweise werden die Salzburger Tapisserien weder zur Regierungszeit Schrattenbachs noch seines Nachfolgers Hieronymus Colloredo „in irgendeinem Inventar“ erwähnt. Ende des 19. Jahrhrunderts lagerten sie jedenfalls eingerollt im Nordoratorium – genau dort also, wo sie jetzt im Rahmen der Sonderausstellung Paradise Lost, auf Plexiglasrahmen montiert, gleichsam in der Luft zu schweben scheinen.
Alle sechs Gewirke wurden von September bis Dezember 2024 in der leer stehenden Paramentenkammer des Doms von der Restaurateurin Regina Knaller untersucht und behandelt. „Hauptsächlich ging es darum, schädliche Staubablagerungen auf Vorder- und Rückseite zu entfernen und schadhafte und instabile Stellen nähtechnisch zu sichern.“
Auf der Rückseite seien die Farben viel kräftiger, weiß Reinhard Gratz. Die waren ja auch nie dem Licht ausgesetzt. Aber auch so ist der Eindruck überwältigend. Sei es im Detailreichtum von Flora und Fauna – inklusive der renaissancemäßig prachtvollen Menschendarstellungen – sei es in der Expressivität genau dieser Menschen. Die Entwürfe entstanden einer Zeitenwende, „aus der Hoch-Renaissance barock verbrämt“. Im Salzburger Dom passen sie stilistisch perfekt zum Stuck.
Gelegentlich – und das ist alle Jubeljahre einmal – hingen die Tapisserien von den Balkonen im Inneren des Doms zu Salzburg. Zuletzt war das 2012. Damals hat sich Nikolaus Harnoncourt für ein Festspielkonzert die Tapisserien aus klanglichen Gründen gewünscht. Ein anderer hätte diesen Wunsch vermutlich vergebens geäußert. Geholfen hat das kostbare Dämm-Material gegen die heikle Akustik im gewaltigen Dom dann freilich doch nicht...
Die Sonderausstellung Paradise Lost bietet nun wohl auf sehr lange zeit die letzte Chance, diese Kostbarkeiten im original zu sehen, noch dazu aus allernächster Nähe. Künftig bleiben die Tapisserien aus konservatorischen Gründen im Fundus. Bei Hoch- und Höchstämtern im Dom werden nur mehr Farbdrucke auf Stoff von den Balkonen hängen.
Wie entsteht eine Tapisserie? Zuerst braucht man einen Entwurf. Die Tapisserien im Vatikan etwa hat Raffael entworfen. Jene in Salzburger der oben genannte Michiel Coxcie, der seinerseits von Raffales beinflusst war. Der farbige Entwurf wird auf einen Karton in der geplanten Originalgröße der Tapisserie übertragen. Der Karton kann wiederverwendet werden (die Salzburger Musterzeichnungen sind nicht erhalten).
Der Karton bleibt, je nach Webstuhl, zur Kontrolle hinter oder unter den Kettfäden. Die verschiedenfarbigen Schussfäden sind auf unzählige Spulen aufgewickelt. Diese werden abwechselnd über und unter die Kettfäden durchgefädelt und mit einem Kamm „angeschlagen“ bis die Längsfäden verdeckt sind. Wenn unterschiedliche Farbflächen aufeinandertreffen, entstehen Schlitze, die anschließend zusammengenäht werden. In der Ausstellung wird ein Video gezeigt, da kann man einer Weberin genau auf die Finger schauen.