Der Wahnsinn ist zeitlos

UNI MOZ / I CAPULETI E I MONTECCHI

11/12/24 Junge Leute, wirklich sehr junge Leute, geben Romeo & Julia ob in Drama oder Oper allein schon wegen der vergeudeten Jugend besondere Tragik. I Capuleti e i Montecchi von Vincenzo Bellini – er war erst 29, als er das Werk schrieb – bescheren am Mozarteum in einer reduzierten Orchesterfassung zwei Stunden große Oper. Ein Stimmen-Fest.

Von Heidemarie Klabacher

I Capuleti e i Montecchi – der Titel allein sagt es schon. Wichtig sind die verfeindeten Clans. Julia und Romeo, die einander bei Bellini schon lange kennen, Balkonszene und Verzückung schon lange hinter sind haben und durch den Krieg immer wieder lange Zeit getrennt sind, sind nur Kollateral-Opfer in einem ausgewachsenen Krieg. Anders als bei Shakespeare drohen bei Bellinis Librettisten Felice Romani vom ersten Ton und Moment an Verzweiflung, Gefahr und Tod.

Die Bedrohungslage spiegelt in der Produktion der Universtität Mozarteum allein schon der Raum: Ausstatterin Laura Trilsam hat die Bühne in den Saal hinein erweitert. Über mehrere miteinander verbundene kleinere Podien auf unterschiedlichen Spielebenen zieht sich der Krieg von der Bühne ausgehend quasi mitten ins Publikum hinein, mitten ins Volk. Keine Florette, Degen oder gar moderne Waffen. Der Wahnsinn ist zeitlos. Nüchtern. Einzig ein weißes Brautkleid gibt neben dem Schwarzweiß der Anzüge und Julias schlichtem schwarzen Kleid einen gleißenden Akzent. Julia wird diesen Albtraum-Rüschenhaufen nie anlegen. Es ist ihr Totengewand.

Für die Julia von Bellini/Romani gibt es nicht einmal die ohnehin zweifelhafte Hoffnung auf den Trick mit dem Todestrank von Lorenzo – der hier übrigens weggeschleppt und draußen vor der Tür erschlagen wird. Regisseur Alexander von Pfeil zeichnet die eigentliche Hauptfigur des Werks als physisch und psychisch längst zerstörte junge Frau am Rande des seelischen Abgrunds. Ein Spielball im Spiel der Männer. Selbst Romeo schlägt diese Julia zu Boden, als sie seinem Ego in der Männerrunde zufällig mal im Wege ist. Dies vermittelt Alexander von Pfeil so unerbittlich wie unaufdringlich in Regie und Personenführung von gnadenloser Geradlinigkeit und Transparenz. Die Sängerinnen und Sänger haben zwar viele Wege, können sich ihrem Kerngeschäft aber grundsätzlich ungestört von szenischen Einlagen widmen. Sie danken es mit Höchstleistungen. Alle.

Die Premieren-Besetzung am Dienstag (10.12.): Nikolett Mráz betörte als Giulietta vom ersten Ton an – und zog mit jeder einzlnen ihrer vielen teils großen Nummern immer noch stärker in den Bann ihrer so strahlend klaren wie kraftvollen Stimme. Diese schien tatsächlich mit jedem Einsatz größer, geschmeidiger, präsenter zu werden, und gleichzeitig immer noch federlleichter. Ein Erlebnis.

Ihren Romeo sang die Mezzosopranistin Agnes Hyunjin Kim. Die „tieferen“ dramatischeren Momente in den Querelen mit den Männern kamen rundum glaubwürdig. Zur Hochform lief die Darstellerin in der Hosenrolle freilich im Dialog mit der Sopranistin auf. Sopranglanz und Mezzosamt ergaben Momente zum Mit-Weinen.

Gernot Sahler am Pult des blendend disponierten Kammerorchesters Universität Mozarteum trug, bei aller Angriffigkeit in der Agogik und keineswegs großer Zurückhaltung in der Lautstärke, die Sängerinnen und Sänger auf Händen. Gespielt wird eine reduzierte Orchesterfassung von Francis Griffin, „bereitgestellt von Pocket Publications“. Die Solistinnen und Solisten im Orchester – Horn! Flöte! Klarinette!!! – trugen zaubrisch schöne Klangmomente zum mörderischen Treiben bei. Dieses wird immer weiter angetrieben von Vsevolod Chernyshev als unversönlichem Capellio mit profundem Bass.

Oscar R. Ore Alarcon gab mit so kraftvollem, wie noch in höchsten Lagen geschmeidigem Tenor der Partie des Tebaldo, Capellios Wunsch-Schwiegersohn und Romeos Nebenbuhler, Profil. Dieser singt wohl mit verführerischer Sanftheit in der Stimme davon, dass er lieber sterben wolle, als Julia auch nur mit einem Wunsch verletzten zu wollen, er schleift sie freilich herum und schlägt sie „wie alle“.

Diese Charakter-Abseiten zeichnet Regisseur Alexander von Pfeil gefühlt mit jeweils nur mit einem Federstrich. Mit Bewegungen, die so rasch und unaufdringlich passieren, dass man sie auch leicht übersehen könnte. Den Lorenzo der Premiere sang Jannik Junzhe Zeng mit wunderbar weichem geschmeidigen Bariton, eine Stimme der Mitte, der Vernunft, der Liebe, weit weg von Gewalt und Wahnsinn. Auch das ist so schnell gegangen, dass man sich kaum sicher sein konnte: Wurde Lorenzo von Capellios Männern tatsächlich vor die Saaltür geschleift und alldort erschlagen? Ich fürchte schon. Den Chor bildeten Julia Dzido, Angel Garcia, Hyeonjeong Lee, Samuel Pörnbacher, Achim Schurig, Mo Wan, Punyanuch Wattanavinin & Tonio Yin. Auch hier jede Stimme ein wichtiger Spielstein in einem so aufwühlenden wie betörenden Trauer-Spiel.

I Capuleti e i Montecchi – weitere Aufführungen Donnerstag (12.12.) und Freitag (13.12.) jeweils um 19 Uhr, Samsatg (14.12.) um 17 Uhr im Max Schlereth Saal – www.moz.ac.at
Bilder: UniMoz / Judith Buss