Gottes Geflüster in unseren Herzen
REST DER WELT / GRAZ / BETRUNKENE
19/05/16 „Eine große, dreckige, poetische Menschheitskomödie“, schrieb die „Welt“ nach der Uraufführung von Iwan Wyrypajews Stück „Betrunkene“ 2014 in Düsseldorf. Nun ist das Stück im Schauspielhaus Graz zu sehen.
Von Reinhard Kriechbaum
„Es ist Zeit, mehr zu lieben als nur sich selbst." Eh wahr, aber wer sagt schon die Wahrheit? Kinder, ja. Narren auch, sagt man. Und nicht zu vergessen auf jene, denen der Alkohol ein Stück weit hilft zur Wahrheitsfindung. Ein Grüppchen solcher Wahr-Sager, eine skurrile Zusammenrottung hoffnungsfroh Enthemmter kommt also zusammem. Der „Direktor des internationalen Filmfestivals“ ist nur wenig besser dran als jener Mann, der gerade geheiratet hat und der nun der Exfreundin erklären soll, warum das so gekommen ist. Zwei Männer geraten über Kreuz angesichts der Frage, ob der Kater die Mutter des einen Mannes umgebracht hat. Der Sohn der Verblichenen beteuert eisern: „Meine Mutter lebt!“ Das Verhältnis der beiden Herren zur jeweiligen Gattin des anderen wäre auch einen Seitenblick wert. Eine Runde von Junggesellen beim Polterabend diskutiert über die Aussichtslosigkeit, in einem vegetarischen Restaurant Fleisch zu essen, aber allmählich verlagert sich das Gespräch in spirituelle Richtung: Hören wir nicht alle „Gottes Geflüster in unseren Herzen“? Gott liebt offenbar auch die Vegetarier.
Überhaupt Gott. Über kurz oder lang landen sie alle bei der Frage nach ihm, nach Liebe, und nach der Schnittmenge daraus, dem möglichen Sinn des Lebens.
Da stutzt man: Immerhin ist der Autor Iwan Wyrypajew 1974 im südsibirischen Irkutsk geboren worden, also noch in der kommunistischen Sowjetunion. Das Moskau heute, wo er lebt, ist wohl kaum weniger atheistisch. Gerade dieser Autor landet also permanent bei der Frage nach Gott. Vielleicht klingt sie nicht ganz so, wie konservative Geister sich das vorstellen, und die Wahr-Sprüche der „Betrunkenen“ klingen schon gar nicht so, wie Theologen sie gerne hättren. Aber immerhin: Da ist die Ahnung, dass die Welt ein gutes Stück besser sein könnte, als sie ist, wenn man bloß richtige Antworten auf richtig gestellte Fragen wüsste. Beides ist nicht so üblich heutzutage.
Das Stück von Iwan Wyryparew gibt sich dabei gar nicht besserwisserisch. Der Text kommt sogar recht frivol, als grelle Satire voller Situationskomik daher. Tragikomisch, wie die sich im Grunde allein Fühlenden anspringen auf die unwahrscheinlichsten Liebes-Avancen von Alleingelassenen. Das trifft den Bräutigam am Vorabend der Hochzeit genau so, wie den Ehemann, der mit seiner Gattin heimwärts torkelt. „Mir scheint, ich habe da eine getroffen, die mich liebt“, sagt er zu ihr. Die Gattin ruft den Notarzt, aber wer nimmt Betrunkene schon ernst? Da bleibt nur Beten: „Gott, der Notarzt hilft nicht.“
Im Grazer Schauspielhaus schöpft die Regisseurin Bernadette Sonnenbichler aus einen Vorrat starker Typen, sieben jeweils in einer Doppelrolle, das macht die Sache auch kompakt. Leuchtziffern von eins bis vier kommen von oben und illustrieren, aus welchem der vier Pools an „Betrunkenen“ die jeweilige Szene sich gerade speist. Viel Wasser ist auf der Bühne, triefend nass sind sie alle, deren Glück den Bach runter ist und deren Hoffnungen kaum festen Boden erreicht haben. Das könnte alles tiefgründig und pessimistisch sein, kommt aber leichtfüßig, mit satirischem Touch und einer nicht geringen Dosis Selbstironie aus.