China-Klischees und kraftvolles Musizieren
REST DER WELT / WIEN / TURANDOT
02/05/16 Die letzte Saisonpremiere an der Staatsoper galt Puccinis unvollendeter „Turandot“. Hausdebütant Gustavo Dudamel kassierte neben viel Zustimmung auch einige Buhrufe. Regisseur Marco Arturo Marelli lieferte eine solide Arbeit ab.
Von Oliver Schneider
Besonders einfallsreich ist es nicht, innerhalb von wenigen Jahren in Österreich dreimal denselben Regisseur einzuladen, seine Sicht von Giacomo Puccinis Turandot zu präsentieren. Den Beginn machte man in Graz, im letzten Sommer inszenierte Marco Arturo Marelli dann das Seespektakel in Bregenz mit Chinesischer Mauer, Soldaten-Statuen und Akrobaten. Für die Produktion im Haus am Ring sind wenige der Akrobaten übrig geblieben. Komplett mitgereist ist hingegen die Rahmenhandlung, denn erzählt wird die Geschichte der eisgepanzerten Prinzessin Turandot, die reihenweise die Freier umbringen lässt, weil sie ihre drei Fragen nicht beantworten können, aus biographischer Sicht. Puccini – gleich Calaf – ringt um das Ende der Oper und lässt möglicherweise persönliche Erlebnisse einfließen.
Als zusätzliche Idee lässt Marelli den Abend als Theater auf dem Theater spielen. Der Chor (sehr gut vorbereitet von Thomas Lang) in Abendkleidung der Entstehungszeit ist immer wieder im Zuschauerraum auf der Bühne gegenüber den zahlenden Besucherinnen und Besuchern platziert, während in der Mitte gelitten, geliebt und geturnt wird. Doch was soll das?
Was in Bregenz aufgrund der Dimensionen erklärbar war, darf in einem geschlossenen Haus nicht fehlen: die Personenführung. Turandot besteht nicht nur aus Massenszenen, sondern erzählt eine von Gefühlsextremen bestimmte Biographie einer Frau, die Angst vor Enttäuschungen hat. Eine Geschichte, die nach Interaktion zwischen den Personen verlangt. Diese wirken leider in Wien statisch, teilweise sogar unbeholfen. Völlig verschenkt hat Marelli auch die Auftritte der Minister, die sich im zweiten Akt so sehr nach einem friedlichen Leben sehnen, während sie, um die eigene Haut zu retten, die Köpfe der gescheiterten Freier für alle Ewigkeit in Gläsern präparieren müssen.
Stattdessen bietet Marelli als sein eigener Bühnenbildner opulentes Ausstattungstheater mit ebenso edlen Kostümen von Dagmar Niefind und bestätigt viele China-Klischees. Hübsch zum Ansehen, aber trotz gebotener Repertoirefähigkeit, soweit sollte das Zugeständnis dann doch nicht gehen.
Musikalisch bietet der Abend solides Mittelmass. Lise Lindstrom mag zurzeit eine weltweit gefragte Turandot sein, eine Idealbesetzung ist sie nicht. Das Metall ist zwar vorhanden, ihre Stimme ist durchschlagskräftig, und die Höhen attackiert sie furchtlos, aber ihre Stimme wird dann leider rasch schrill und verliert an Fokus. Aber alles in allem ist ihre Leistung akzeptabel, nur darf man nicht vergleichen. Das gilt auch für Yusif Eyvazov als Calaf. Seine Phrasen sitzen punktgenau im Fokus, das H in Nessun dorma erreicht er mühelos. Er ist sicherlich mehr der Held als ein Freund des intimen Singens, und besonders farbenreich ist sein Tenor auch nicht. Aber immerhin kann die Staatsoper einen Einspringer von diesem Format bieten.
Wirklichen Premieren-Stimmglanz bringt Anita Hartig als sich aufopfernde Liù mit wunderbarem Legato und emotionaler Beredtheit in der Stimme ein. Von der regie wird sie sehr allein gelassen. Die kleineren Partien sind adäquat besetzt: mit Heinz Zednik als noblem Kaiser-Greis Altoum, Dan Paul Dumitrescu als sonorem Timur, Paolo Rumetz als kräftigem Mandarin sowie Gabriel Bermúdez, Carlos Osuna und Norbert Ernst als Minister.
Das Staatsopernorchester spielte in der zweiten Vorstellung am Sonntagabend (1.5.) unter Gustavo Dudamel präzise und mit Hochdruck. Gewählt hat man leider den wenig glaubwürdigen Alfano-Schluss, der musikalisch deutlich abfällt. Dudamels Aufmerksamkeit gilt vor allem den Tableaus, dem Plakativen, weniger den intimen Momenten. Die Balance stimmt noch nicht ganz, lebt doch das Werk gerade auch von diesem Gegensatz. Dynamisch hingegen hat Dudamel die Musiker im Griff und deckt die Solisten nie zu.