Mythen mit Zwischenstationen im Hier und Jetzt
GRAZ / DIE GRIECHISCHE PASSION
07/03/16 Was für eine Musik! Wie völlig ausgeklinkt aus dem Zeitgeist hat Bohuslav Martinů um die Mitte des 20. Jahrhunderts „Die griechische Passion“ auf der Grundlage des Roman-Klassikers von Nikos Kazantzakis auf die Opernbühne gebracht. Umstritten (und von Covent Garden abgelehnt) schon damals.
Von Reinhard Kriechbaum
Eine Partitur mit geradezu wollüstig-tonalem Applomb, der in sich vielfältig gebrochen wird durch folkloristische Anspielungen (nicht Zitate), durch eigenwillig schroff aufeinander prallende Stilverschnitte, durch jene für die Werke dieses Komponisten auch typische am Impressionismus sich anlehnende Farbigkeit, in der das Akkordeon eine nicht minder auffällige Stellung einnimmt wie die exponierte Harfe. Sie ist im Grazer Opernhaus quasi als Solistin im großen Orchesterapparat in der Proszeniumsloge links unten positioniert.
Es schaltet und waltet mit Übersicht der Dirigent Dirk Kaftan am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters. Süffig lässt man die Musik aufrauschen, elastisch tänzelnd, wo nötig auch zurückgenommen, wie seelische Reflexion. Spielt diese griechische (Zeit)Geschichte, die Martinů in englischer Sprache vertont hat, nicht eigentlich doch auch in Böhmen?
Egal wo. Der Schweizer Regisseur Lorenzo Fioroni und sein Ausstatter Paul Zoller haben äußerst genau auf die Musik gehört und sie in ihrem sagenhaften Zeit-und-Ort-Nirvana gegriffen. Sie führen uns in eine Kleinstadt, wo man Trachtenanzug, Jeans und Coctailkleid mit derselben Beliebigkeit trägt, mit der man drangeht, aus der Tradition heraus Passion zu spielen.
The same procedure as every year. Die Rollen werden verteilt. Ein Jahr haben die Laienschauspieler Zeit, sich in sie hinein zu denken. Theoretisch. Praktisch geht es ganz schnell, denn da taucht eine Gruppe Migranten auf. Nein, keine Syrer oder Afrikaner. Hier hat eine Gesellschaft aus einem amerikanischen Bibel-Historienschinken ihre wallenden Kostüme und Rauschebärte gerettet. Ein herber Kontrast zu den Medienleuten, die diese diese wie aus einem fernen Jahrtausend hereingeschneite Gruppe mit ihren Kameras in Nahaufnahme verfolgen.Videotechnik kommt zum Einsatz.
Reflexartige Hartherzigkeit und Verstocktheit da, dort der künftige Jesus-Darsteller Manolis. Er ist zuerst sympathischer Wortführer der wenigen Gutmenschen, doch dann steigert er sich hinein in messianischen Weltverbesserungs-Wahn. Auch keine Lösung. Es braucht keine aufdringlichen szenischen Verortungen oder Aktualisierungen auf der Bühne. Man versteht schon (und empfindet es als beängstigend) wie nah uns diese Immigrantengeschichte sein muss. Die Bewahrer der Ordnung, die Retter des eigenen Reichtums werden Oberhand behalten, der Spintisierer Manolis wird dran glauben und die Gruppe der Fremden weiterziehen müssen. Schlussvorhang, Gänsehaut.
Eine nicht immer stringente Geschichte mit klarer Botschaft, die in Plakatdimension, auf Hochglanz und doch inhaltlich grobkörnig daher kommt. Das ist die Crux des Werks. Allemal lohnendes Denk-Pensum in diese Richtung, wie schwer es doch in einer humanitären Ausnahmesituation fällt, Kompromiss, Mittelweg, Ausgleich zu finden.
Sängerisch bietet die Grazer Oper in dem personenreichen Stück weitgehend mit eigenen Kräften Spitzenniveau.
Der Schweizer Tenor Rolf Romei, einer der wenigen Gäste, ist als Manolios vor allem gegen Ende hin ein Gestalter mit stimmlicher Signalkraft, dem man aber auch den entscheidenden Bruch in dieser Figur, die Abkoppelung von jeder Lebensrealität, abnimmt. Dshamilja Kaiser als Katerina hat große Momente, wenn sie und Manolis ihr Verhältnis abtasten, ausloten: Katerina ist als Hure Maria Magdalena vorgesehen im imaginären Passionsspiel. Das hat viel mit ihrer Rolle im Dorfleben zu tun. Sie ist die erste, die auf die Fremden zugeht, das macht sie höchst verdächtig. Stimm-mächtige Gegenspieler sind die beiden Priester, Wilfried Zelinka (der ortsansässige Grigoris) und Markus Butter als Fotis, der Führer der Immigranten und Schutz-Suchenden. Mit seinem Rauschebart ist er ein unmittelbares Zitat von Charlton Hestons Moses.
Ohne Schwächen die zum Teil sehr präsenten weiteren Figuren im insgesamt 21 Personen starken Ensemble. Die Chöre (mit Verstärkung von der Kunstuniversität am Ort) formen präsente akustische Porträts und sind von der Regie ungemein detailreich individualisiert. Immer ist da die große Geste, ja, der Kitsch als Stilmittel, der allz aufdringliche Bezüge zum Hier und Jetzt zu brechen hilft. „Die griechische Passion“ kommt in der Grazer Oper nicht mit der pädagogischen Keule daher, spielt eher mit den Versatzstücken und schickt uns auf eine Mythos-Zeitreise, die doch immer am eigenen Flughafen Zwischenstation hält. Ein in jeder Hinsicht denkwürdiger Abend.