Tenorparade der Rossini-Spezialisten
REST DER WELT / WIEN / OTELLO
22/02/16 Dem Theater an der Wien gelingt wieder eine Punktladung mit der in der letzten Jahren wieder häufiger zu sehenden Opera seria Otello von Gioachino Rossini. Regisseur Damiano Michieletto und Antonello Manacorda am Pult schaffen spannendes und durchdachtes Musiktheater.
Von Oliver Schneider
Verdis Fassung des Stoffes hatte Gioachino Rossinis 1816 in Neapel uraufgeführten Otello fast verdrängt, aber in den letzten Jahren erlebt das Werk zu Recht eine kleine Renaissance. Erwähnt sei nur die Produktion des Opernhauses Zürich 2012 mit Cecilia Bartoli als Desdemona, die auch in Salzburg bei den Pfingstfestpielen zu Gast war.
Rossinis Fassung entfernt sich aus theaterpraktischen Gründen weit von Shakespeares Vorlage. Er musste Partien für drei herausragende Tenöre schaffen – insgesamt sind es fünf –, weshalb die Rolle des Rodrigo stark aufgewertet ist und auch Jago einer hohen Stimme anvertraut ist.
Damiano Michieletto verlegt die Handlung gewinnbringend ins Heute, was offensichtlich nicht allen Zuschauern zusagte. Zwei alte Männer – der an den Rollstuhl gefesselte Doge und der steinreiche Elmiro (markig Fulvio Bettini mit der einzig tiefen Stimme) – wollen die Macht ihrer Clans für die Zukunft zementieren. Dafür soll Rodrigo, der Sohn des Dogen, Elmiros Tochter Desdemona heiraten, die aber bereits heimlich mit Otello, einem muslimischen Geschäftsmann, verheiratet ist. Damit sich aber Rodrigo überhaupt um Desdemona bemüht, muss sein Cousin Jago dazu im Hintergrund teuflische Strippen ziehen, denn Rodrigo scheint mehr Gefallen an seinem Cousin zu finden. Auch Desdemonas kleine Schwester Emilia (Gaia Petrone) intrigiert kräftig mit.
Otello ist in der reichen Stadt – großzügige Räume mit einem riesigen Luster (Bühne: Paolo Fantin) – genau so lange willkommen, wie er zur wirtschaftlichen Prosperität beiträgt. Geht es um das Persönliche, schottet man sich ab, womit Michieletto das rassistische Element in Rossinis Otello-Fassung mit dem über Jahrhunderte genährten Konflikt zwischen Christen und Muslimen aktueller denn je auf die Bühne bringt. Als Otello Desdemona im ersten Akt einen schwarzen Seidenschal überreicht, legt er ihn ihr als Tschador über den Kopf. Ein Eklat.
Aber Michieletto zeigt nicht nur die gesellschaftspolitische Sprengkraft, sondern leuchtet auch die Psychologie der Personen aus. Immer wieder wechselt er dafür von der Realität in die Gedankenwelt der Protagonisten. Wenn Elmiro seine Tochter im zweiten Akt wegen ihrer heimlichen Ehe mit Otello verstößt, sieht Desdemona ihre eigene Beerdigung vor Augen. Die Personen sind gut gezeichnet, nur Jago mit seinen dämonischen Zügen wirkt zu manieriert und zu gewichtig, so überzeugend Vladimir Dmitruk ihn spielt und technisch präzise und flexibel singt.
John Osborn ist, wie in Zürich und Salzburg, der Otello, der mit seinem baritonalen Timbre für die Partie eine Idealbesetzung ist. Geschmeidig, wenn er auf Linie singt, weiß er elegant zu phrasieren und seine Stimme in den Koloraturen souverän zu kontrollieren. Sein zum Gegenspieler manipulierter Rodrigo ist mit Maxim Mironov ebenso hervorragend besetzt. Er leistet Rossinische Gesangsakrobatik pur mit sicheren Spitzentönen und gut verblendeten Registern. In den kleineren Tenorpartien ergänzen Nicola Pamio als Doge und Julian Henao Gonzalez als Lucio – hier Arzt – das Tenor-Quintett auf achtbarem Niveau.
Das warme, dunkle Timbre von Nino Machaidzes Desdemona harmoniert im einzigen Duett mit Otello im großformatigen Schlussakt, ohne den man sich Verdis durchkomponierten Otello kaum vorstellen kann. Raumfüllend, technisch gewandt und mit starker Präsenz stattet sie die um Freiheit Ringende aus, die sich – anders als im Libretto – selbst erschießt, während Otello die Tote in den Armen haltend überlebt. Anders als die Traumfiguren Francesca Da Rimini und ihr Geliebter Paolo, die aus dem reproduzierten Gemälde von Gaetano Previati auf der Bühne immer wieder aus dem Rahmen steigen und die von Francescas eifersüchtigem Gatten mit einem Schwert gemeinsam durchbohrt wurden.
Antonello Manacorda sorgt am Pult der Wiener Symphoniker für Brio und genauso einfühlsame Begleitung, während sich der Arnold Schoenberg Chor bestens präpariert auch gestaltend wieder einbringen kann.