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Im aussichtslosen Kampf mit dem Ich

REST DER WELT / WIEN / PETER GRIMES

16/12/15 In einem englischen Küstendorf ist der Fischer Peter Grimes ein Aussenseiter, weil ihm schon einmal ein Gehilfe bei der Arbeit unglückshalber gestorben ist. Er hofft, durch Arbeitseifer Wohlstand und Ansehen zu erlangen, um die Lehrerin Ellen Orford für sich zu gewinnen. Bis sich mit einem neuen Lehrjungen, John, die Vorurteile zu bestätigen scheinen.

Von Oliver Schneider

Was Benjamin Britten und der Librettist Montagu Slater in der 1944/5 entstandenen Oper nur andeuten, nimmt Loy als Faktum für seine Inszenierung. Grimes wird wegen seiner Homosexualität von der Dorfgesellschaft ausgegrenzt, die in dem konservativen, bigotten und kleinbürgerlichen Weltbild der Dorfbevölkerung als Bedrohung wahrgenommen wird. Doch was für die boshaften Leute längst Fakt ist, hat Grimes für sich noch nicht akzeptiert. Mal träumend im Bett direkt am Orchestergraben auf der schrägen Bühnenfläche (Bühne: Johannes Leiacker), mal in der Wirklichkeit, kämpft er mit – oder soll man besser sagen gegen – seine sexuelle Orientierung. Grimes ist bei Loy kein älterer Mann, wie in der ersten Wiener Grimes Inszenierung 1996 der großartige Neil Shicoff, sondern ein Mann, der noch viel erreichen will in seinem Leben. Joseph Kaiser scheint die inneren Konflikte leibhaftig auf der Bühne auszustehen, wenn er von Liebe zu Ellen singt und er gleichzeitig von jungen, muskulösen Männern träumt (zu plakativ), die ihn sexuell anziehen. Auch stimmlich steht für ihn im Vordergrund, die Seelenzustände der zerrissenen Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

Der frühere Kapitän Balstrode und Ellen sind die einzigen wirklichen Fürsprecher von Grimes. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Loy konstruiert aus den drei und dem (stummen) John eine verhängnisvolle Vierergeschichte: Balstrode, hier ungefähr gleich alt wie Grimes, hat deshalb Verständnis für Peter, weil er sich selbst in der gleichen Situation befindet wie dieser. Nur hat die Gesellschaft das bei ihm nicht bemerkt. Andrew Foster-Williams gelingt eine berührende Rollenstudie. Balstrode sucht bewusst Grimes' körperliche Nähe. Sein echtes Coming-Out erlebt er sexuell, bezeichnenderweise mit dem sehr femininen und zu stricherhaft gezeichneten John (Gieorgij Puchalski), wobei sie von Peter überrascht werden. Peters Welt bricht zusammen: Ob er John dann später auf der Flucht vor den Dorfbewohnern tötet oder er dabei verunfallt, lässt Loy offen.

Zwischen all den Geschehnissen steht die Peter liebende Ellen (fesselnd Agneta Eichenholz), die ihm helfen will, aber in ihren Träumen die Aussichtslosigkeit erkennt. Stellvertretend für ihre Liebe zu Peter, sucht sie die Nähe zu John, der durchaus auch ihre Gefühle erwidert.

Den Höhepunkt erreicht der Abend im letzten musikalischen Zwischenspiel, wenn Peter, Balstrode und Ellen ihren inneren Scherbenhaufen geistig vor sich sehen und anschliessend die Dorfleute in hasserfüllten Grimes-Rufen (überragend der Arnold Schoenberg Chor) ausbrechen. Geradezu befreiend wirkt dann Balstrodes Aufforderung an seinen ehemaligen Freund, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Neben den vier Hauptpersonen stehen die Solisten in den kleinen Partien trotz zum Teil prominenter Besetzungen im Hintergrund. Loy arbeitet jedoch präzise heraus, dass sie zwar mit dem Finger auf andere zeigen, selbst aber ebenso ihre dunklen Flecken haben: die drogensüchtige Hetzerin Mrs. Sedley (Rosalind Plowright), die einer Bordellmutter ähnliche Kneipenwirtin Auntie (Hanna Schwarz), ihre beiden „Nichten“ in fleischfarbenen Tüllkleidern mit hervorquellenden Brüsten (Kiandra Howarth und Frederikke Kampmann), der bigotte Bob Boles (Andreas Conrad) und einige mehr.

Cornelius Meister führt das ORF Radio-Symphonieorchesters Wien gefühl- und effektvoll, rhythmische Präzision fordernd, in den Zwischenspielen und zentralen Chorpassagen geradezu leidenschaftlich, aber nie zu laut durch die musikalisch abwechslungsreiche, farbige Partitur. Zu Recht erhielten die Musikerinnen und Musiker am Premierenabend neben Joseph Kaiser den größten Applaus.

Weitere Vorstellungen am 16., 20. und 22. Dezember - www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / Monika Rittershaus

 

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