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Ein Gotteshaus mit U-Bahn-Anschluss

REST DER WELT / WIEN / VIRGILKAPELLE

10/12/15 Der Donauraum war im Mittelalter Salzburger Missions- und Kirchengebiet. Daran erinnert in Wien nicht nur die Rupertkirche (die älteste in der Bundeshauptstadt). Die Virgilkapelle unter dem Stephansplatz heißt so nach dem zweiten Salzburger Diözesanheiligen. Dieses bedeutende frühgotische Baudenkmal wurde in den letzten Jahren restauriert und ist ab kommendem Wochenende wieder zugänglich.

Ähnlich, wie man in den vergangenen Jahrzehnten durch eine Glasscheibe hinein geschaut hat in dieses unterirdische Gottehaus, haben es wohl auch die Menschen im Mittelalter beäugt: durch Fensteröffnungen, vom ehemaligen Friedhof aus. Den Stephansplatz gibt es ja erst, seit im Zuge der josefinischen Aufklärung Innenstadtfriedhöfe aufgelassen wurden. Bis dahin war die Wiener Kathedrale von Gräbern umgeben und nicht von Touristen und Shopping-Gästen.

Manches Rätsel wäre noch zu lösen um die 1973 im Zuge des U-Bahnbaues entdeckte und in die U-Bahn-Station Stephansplatz integrierte Virgilkapelle. 1220/30 ist sie als Unterbau für einen geplanten Kapellenbau in frühgotischem Stil entstanden, um 1246 stattete man die Kapelle mit Fugenmalereien und Radkreuzen in den Nischen aus. Darüber errichtete man hier später die Maria-Magdalena-Kapelle, der Grundriss dieser kleinen Kirche ist im Straßenpflaster des Stephansplatzes heute noch sichtbar.

Wer der Bauherr war, ist mangels schriftlicher Quellen bis heute unbekannt. Das charismatische Gotteshaus diente einer reichen Tuchhändlerfamilie als Andachtskapelle. Unter anderem wurde sie mit einem Altar eben für den Heiligen Virgil ausgestattet (deshalb und nicht aus historischer Überlieferung heißt sie jetzt „Virgilkapelle“). Sie diente auch als Beinhaus, und die darüber gelegene Maria-Magdalena-Kapelle wurde von der „Schreiberzeche“ (der Bruderschaft aller Schreiber und Notare) als Andachts- und Versammlungsraum genutzt. Wie man hinuntergekommen ist in die Virgilkapelle? Über eine nicht mehr erhaltene hölzerne Treppe wohl.

Man muss sich nun nicht mehr mit einem Blick durch die Glasscheibe begnügen, sondern kann über einen eingebauten Balkon in den Raum. An den markanten Radkreuzen und die Gemälderesten ist man nahe dran, und man bekommt auch ein Gefühl für die beachtliche Höhe des Raumes. Es waren ursprünglich elf Meter. Die Wandflächen waren bemalt. Auf weißem Grund wurden mit doppelten roten Linien längliche Rechtecke eingefasst, die Steinquader nachahmen sollten.

In der Mittelachse der Kapelle, genau vor der Ostnische, befindet sich ein Brunnen, dessen Innenseite mit Steinen ausgekleidet ist und zu dem es möglicherweise einen gegenüberliegenden zweiten Brunnen gab. Wann genau im Tiefgeschoß Wasserstellen angelegt wurden und ob dies praktische oder religiöse Gründe hatte, ist ungeklärt. Man kennt solche Brunnen von Krypten in einigen französischen Kathedralen, wo sie mit der Heilkraft benachbarter Reliquien in Verbindung gebracht werden.

Der Baubeginn der Virgilkapelle fiel in eine Zeit, in der die von den Babenbergern regierte Stadt einen großen Aufschwung erlebte. Die alten Stadtmauern wurden abgetragen, mit dem Lösegeld aus der Gefangennahme des englischen Königs Richard Löwenherz errichtete man eine neue Befestigungsmauer – in etwa dort, wo heute die Ringstraße verläuft. Die Stadt wuchs um mehr als das Doppelte, und die Stephanskirche, ursprünglich außerhalb der Stadtmauern gelegen, wurde zum Zentrum Wiens. Guter Grund also, dass nun, nach siebenjähriger Restaurierung, neben der Virgilkapelle ein Mittelalter-Schauraum eingerichtet worden ist. Die Außenstelle des Wien Museums war seit 2008 geschlossen.

Der gesamte Innenraum der Virgilkapelle war ab Mitte des 13. Jahrhunderts flächig verputzt und durchgehend ornamental bemalt. Trotz der zahlreichen Fehlstellen ist die Wandmalerei heute noch als Ganzes zu erahnen. Als die Maria-Magdalena-Kapelle 1781 nach einem Brand abgerissen wurde, füllt man die unterirdischen Räume mit ihrem Bauschutt. Dadurch blieben die Wandmalereien über 230 Jahre beinahe unversehrt im Boden konserviert.

Die Freilegung stellt bis heute eine restauratorische Herausforderung dar. Besonders die von außen eindringende Feuchtigkeit verursacht große Schäden, da Salze ins Erdreich eindringen, die an der Wandoberfläche Kristalle ausbilden und damit den sensiblen Verputz absprengen.

Zur Wiedereröffnung komponierte der estnische Komponist Arvo Pärt eine „Kleine Litanei“. Das vierminütige Vokalstück ist dem Arnold Schoenberg Chor gewidmet, der es heute Donnerstag (10.12.) uraufführt.

Am 12. und 13. Dezember sind Tage der offenen Tür. Virgilkapelle und Mittelalter-Schauraum sind fürderhin von Dienstag bis Sonntag jeweils von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Jeden ersten Sonntag im Monat ist Eintritt frei – www.wienmuseum.at
Bilder: Wien Museum / Kollektiv Fischka/Kramar mit Sabine Wolf

 

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