Weizer Weidelamm kontra Lammfleischfetzenspieß
REST DER WELT / GRAZ / WAHR UND GUT UND SCHÖN
03/12/15 Das Grazer „Theater im Bahnhof“ sucht für sein unverblümtes Volkstheater gerne markante Spielorte. Im Fall von „Wahr und gut und schön“ kann es ruhig bleiben, wo es ist. Man weiß dort, was gemeint ist, wenn von „rechts der Mitte“ die Rede ist.
Von Reinhard Kriechbaum
„Auf der falschen Seite der Mur“ – so abschätzig reden Innenstadt- und Bürgerliche-Bezirks-Grazer gelegentlich über die rechtsseitigen, deutlich weniger attraktiven Gestade ihrer Stadt. Dort, auf der falschen Seite also, ist das Theater im Bahnhof beheimatet. In einer Gegend mit hohem Immigrantenanteil. In der Nähe einer ehemaligen Einkaufsstraße zum Bahnhof hin, deren Gentrifizierung zur Ethno-Meile nicht so wirklich vom Fleck kommen will.
Mit „Wahr und gut und schön“ will man in Form einer Komödie zeigen, wie normal es unterdessen ist, „normal“ zu denken, sprich: heimatverbunden und besitzstandswahrend, wohl eingebettet in höchstens zu einem Viertel durchdachte Begriffe und Schlagwörter, die nur sehr bedingt als „Werte“ durchgehen. Noch weniger als abendländische.
Da ist also ein Grüpplein Menschen beisammen und sinniert, ohne recht bei Sinnen zu sein, über die wahren Angeln, an denen unser Leben hängt wie eine Schwingtür. In der Straßenbahn höre man kein deutsches Wort mehr, „das ist strange“. Das Essen ist allemal ein guter Ansatzpunkt, „Weizer Weidelamm“ kontra türkischen „Lammfleischfetzenspieß“, Wolltier gegen Kebab, das ist Brutalität. Da haben und nehmen sie den Mund so voll, dass ihre Stehsätze an die Wand übertitelt werden müssen.
Schnell ist der Gedankensprung vom Parkplatznot zu Grenzzäunen geschafft. Und die vielen jungen ausländischen Männer – da braucht's eben unsere jungen Männer, um sie in die Schranken zu weisen. Eine der Frauen beißt sich kurzzeitig an ihrem Ego fest, kommt in Spitzenstrümpfen und Anorak daher: „Das feministische Bild – oben Inhalt, unten Sex – eine Ambivalenz, mit der mußt' sensibel umgehen.“ Und dann: „Gibt es nach 100.000 Flüchtlingen noch Geld für meine Kunst?“ Wissendes Lachen im theateraffinen Premierenpublikum.
So weit, so gewöhnlich. Lange mussten Regisseur Ed. Hauswirth und sein Ensemble nicht suchen nach „Gehörtem, Gesehenem und Gelesenem“ mit Rechtsdrall. Das steht ja unterdessen überall in der Boulevardpresse, und dort nicht nur in den Leserbriefspalten. Spannender wäre es schon gewesen, auf dieser Basis mit List Sympathie aufzubauen zu den Figuren und das trügerische „Normale“ auszuhebeln. Das gelingt nicht in Ansätzen. Der ungehemmte Theatereifer führt viel zu schnell in skurrile Überzeichnung. Man wird nicht verführt, sich mit den Leuten auf der Bühne zu identifizieren, und muss deshalb auch nichts ernsthaft ablehnen. Das gut gemeinte Volkstheater läuft ins Leere. In einem Einführungstext ist von einer „zeitgemäßen Form des Deutschen Mittagstisches, wie ihn Thomas Bernhard erdacht hat“ die Rede. Das ist ein gar hoher Anspruch für basisdemokratisches Ensembletheater, das hier eher in Spiel-Routine marginalisiert wird.
Viel Zeit geht auf, weil die Frauen sich erst nach und nach in Bühnenfiguren verwandeln. „Es herrscht grundsätzlich ein Bewusstsein über den theatralen Vorgang“, heißt es in der Selbstbeschreibung auf der Website des Theaters im Bahnhof. Das wird mit tödlichem Ernst vorgezeigt.
In einer Produktion kürzlich für den „steirischen herbst“ war das ganz anders: Man spielte in Vordernberg, einem über Jahrzehnte abgesandelten Bergbau-Ort. Dort wurde vor einiger Zeit ein großes Anhaltezentrum für Schubhäftlinge eröffnet. Für „Black Moonshine“ haben die Leute vom Theater im Bahnhof vor Ort recherchiert, die wirkliche Stimmung in der Bevölkerung erkundet und daraus ein unprätentiöses Identifikationstheater mit ausreichend lockeren Pointen gebastelt. Von solch spielerischer, ironischer Distanz ist man in „Wahr und gut und schön“ meilenweit weg, dreht sich nur vor dem Spiegel eigener Befindlichkeit. Und das in der ersten Szene sogar ganz im Wortsinn.