Erlösung und Erwartung
REST DER WELT / WIEN / DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
16/11/15 Es war vor allem für die Musikerinnen und Musiker der Musiciens du Louvre, die zum Teil in Paris leben oder dort Verwandte und Freunde haben, am Samstagabend (14.11.) nicht ganz einfach, nach den schrecklichen Anschlägen zur Tagesordnung überzugehen. Sie spielen dort Wagners „Holländer“ in der Urfassung von 1841.
Von Oliver Schneider
Die Marseillaise, eine kurze Ansprache von Intendant Roland Geyer und Marc Minkowski sowie eine Schweigeminute ließen die Besucher in Wien für einen Moment den Parisern näher sein. So wie es den Konzertsaal Bataclan getroffen hat, hätte es genauso gut ein Opernhaus in Paris – oder Wien – treffen können.
Minkowski schloss mit dem Appell, nicht dem Teufel zu folgen. Und just dieser Teufel ist als Spielmacher die zentrale Rolle in Olivier Pys Neuinszenierung. Der französische Regisseur erzählt die Geschehnisse als Rückblende: Vom Teufel verfolgt sucht Senta Erlösung – sie schreibt dies auf die Bretterwand der auf der Bühne aufgebauten Guckkastenbühne –, stirbt aber letztlich unerlöst. Das erfahren wir in der Ouvertüre, in der Minkowski die Musiker mit mitreißendem Feuer antreibt.
Mit dem Beginn des ersten Aufzugs landet man in der Vergangenheit, in der von Schiffen und Seeleuten nichts zu sehen ist. Für Py symbolisiert das Schiff bei Wagner das Theater (eine Bretter-Guckkastenbühne), das Meer die Kunst. Selbstverständlich ist alles in Schwarz gehalten, jede Textstelle wird noch zusätzlich bebildert, und es gibt neben dem Teufel (Pavel Strasil) noch diverse weitere stumme Figuren. Das kennt man bei Py. Die Herren sind mit dunklen Anzügen bekleidet, womit uns die zeitliche Nähe suggeriert wird (Ausstattung: Pierre-André Weitz). Über den Fluch des Holländers, seine Suche nach Erlösung erzählt uns Py dagegen nichts Neues. Dass sich der Holländer und Donald (so heißt Daland in der urfassung) gleichen, Senta als Kind wohl von ihrem Vater missbraucht wurde, hat man anderorts schon gesehen.
Es herrscht vor allem viel Aktionismus auf der sich dauernd drehenden Bühne. Aber was bringts? Wenn der Steuermann (beweglich schlank Manuel Günther) im ersten Aufzug von seinem Mädl träumt, taucht es auf der Bühne auf, um dann vom omnipräsenten Teufel wieder weggezerrt zu werden. Ähnliches ereignet sich, wenn der Holländer vom ihn erlösenden Engel singt. Überflüssig ist, dass auf der Bühne ein Riesentotenschädel gezeigt wird, wenn Senta dem Holländer Treue schwört. Der Holländer als Todbringender. Nur Show bleibt die Höllenparty zum großartigen Seemannschor zu Beginn des dritten Aufzugs (wie immer gut einstudiert und kraftvoll singend der Arnold Schoenberg Chor). Die Holländer werden, reduziert auf drei Skelette, vom Schnürboden heruntergelassen und dürfen dann noch mit dem Teufel und seinen Kumpanen tanzen.
Die Inszenierung krankt am zu viel Bebildern-Wollen des Regisseurs, während er die Personenführung vernachlässigt. Dass es auch anders geht, beweisen etwa die Szenen, in denen Georg (in den späteren Fassungen Erik) um Senta ringt oder Senta und der Holländer sich das erste Mal begegnen.
Der Bayreuth-erprobte Holländer Samuel Yuon mag zu Beginn noch nicht so richtig durchdringen, steigert sich aber im Laufe des Abends und überzeugt schlussendlich gut gestaltend mit zwar nicht schwarz-timbriertem, aber gleichwohl kernigem Bassbariton. Ingela Brimberg bewältigt die Senta mit gut verblendeten Registern und den notwendigen Reserven und der Kraft für die finalen Spitzentöne. Da sie in der Urfassung nicht erlöst wird und bei Py stirbt, ersetzt sie das Wort „Erlösung“ am Schluss durch „Erwartung“ an der Bretterwand. Lars Woldt ist ein etwas ungehobelter Donald, Bernard Richter ein umsonst um Senta kämpfender, stimmlich standfester Georg. Die zur Damenchor-Dirigentin mutierte Mary wird von Ann-Beth Solvang interpretiert.
Marc Minkowski hat den Holländer bereits vor zwei Jahren konzertant in Wien dirigiert, eine CD-Aufnahme liegt auch vor. Wenn es wie in der Ouvertüre knallen und tosen muß und laut sein darf, ist Minkowski in seinem Element. Das Feine, Lyrische liegt ihm vom Temperament her ferner. In diesen Momenten sind Bühne und Graben in Wien auch nicht immer synchron. Die Bläser waren am Samstagabend im Übrigen nicht in bester Verfassung. Dass Minkowski aber Feingefühl hätte, zeigt er in der sensiblen Begleitung bei der ersten Begegnung von Senta und dem Holländer.
Weitere Vorstellungen am 17., 19., 22. und 24. November – www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien /Werner Kmetitsch