Wo Wagner sich hat inspirieren lassen
REST DER WELT / WIEN / HANS HEILING
22/09/15 Das Theater an der Wien eröffnete die Jubiläumssaison (es ist seit zehn Jahren Wiens drittes Opernhaus) mit Heinrich Marschners selten aufgeführtem „Hans Heiling“. Überzeugend das musikalische Plädoyer von Constantin Trinks am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien mit Michael Nagy in der Titelpartie.
Von Oliver Schneider
Hans Heiling, Sohn der Königin der Erdgeister, will fort aus seinem seelenlosen Reich zu den Menschen und das brave, lebenslustige Bauernmädchen Anna heiraten. Diese liebt aber den burggräflichen Leibschütz Konrad und fühlt sich von dem ernsten Heiling abgestoßen. Als Anna auf einem Fest mit Konrad tanzt, spürt Heiling, dass Anna ihn nie geliebt hat. Am Ende heiratet Anna ihren Konrad, und Heiling kehrt reumütig zu seiner Mutter in die Geisterwelt zurück.
Der 1795 im sächsischen Zittau geborene Heinrich Marschner galt nach Carl Maria von Weber und vor Richard Wagners Durchbruch als einer der bedeutendsten deutschen Opernkomponisten. Heute sind seine romantischen Opern nur noch selten auf den Spielplänen zu finden. Schade, denn gerade „Hans Heiling“ stellt ein Bindeglied in der Kette von Euryanthe, Freischütz, Der fliegende Holländer bis hin zum Lohengrin dar. Das Theater an der Wien wird den „Holländer“ im November zeigen, und zwar in der Urfassung mit Marc Minkowski am Pult.
Die Regie hat Intendant Roland Geyer selbst übernommen. Seine zweite Arbeit übrigens. Er erzählt das Werk, in dem die dramatische Ouvertüre erst nach einem zwanzigminütigen Prolog folgt, als Rückblende. Heilings Mutter trauert am Grab ihres Sohnes, zu dem sie eine inzestuöse Beziehung entwickelt hat – das wird in der Ouvertüre mit klaren Bildern gezeigt. Aus diesem Leben bricht Heiling im Prolog aus; die Geister vermögen ihn nicht daran zu hindern. Geyer deutet sie als die inneren Stimmen der Protagonisten: im Prolog der Mutter, später Annas und Heilings.
In seinem neuen Leben wird Heiling zum gefeierten Künstler, dem nur eines fehlt: eine Frau, die ihn versteht. Die lebenslustige Blondine Anna ist nicht die Richtige, was auch sie auf den ersten Blick merkt. Im Gegensatz zu ihrer Mutter Gertrud, die in Heiling vor allem die gute Partie und die Aufstiegsmöglichkeit für Anna sieht. Konrad hingegen ist ein Bursche in ihrem Alter. Kein besitzergreifender, impulsiver und introvertierter Grübler und Außenseiter, der Anna nicht einmal ein Tänzchen mit einem anderen Mann zugestehen will. Anders als im Original ersticht Heiling Konrad wirklich und landet im letzten Akt im Gefängnis. Die Hochzeit von Anna und Konrad ist nur noch eine Wahnvorstellung in seinem Kopf, bevor er sich erlösend die Pulsadern aufschneidet.
Als Grundidee ist der Regieansatz tragfähig. Das Romantische in der Handlung geht freilich verloren, wird aber durch die neue Geschichte mit ihrem für heutige Augen glaubwürdigerem Ende als jenem im Libretto von Eduard Devrient glaubwürdig ersetzt. An den zusammengekürzten Dialogen hätte die Dramaturgin noch weiter arbeiten dürfen: Sie stehen mit ihrer altertümlichen Sprache seltsam quer zum Plot. Auch die Personenführung ist zu rudimentär. Zu oft stehen die Protagonisten hilflos herum, ringt Anna mit altbackenen Gesten. Unausgereift sind die choreografierten Armbewegungen der Geisterchöre (Ramses Sigl).
Dem auf dem richtigen Weg stehengebliebenen Regisseur steht der am Ziel angekommene Dirigent gegenüber. Constantin Trinks und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien sorgen für eine rundherum überzeugende musikalische Wiedergabe. Trinks führt, auf viele Details bedacht und sehr transparent, durch die oft leidenschaftliche Musik Marschners, der Überkommenes mit Ansätzen zum Musikdrama verbindet. Zum aufwühlenden Ereignis macht Trinks die Ouvertüre und hebt klar die unterschiedlichen Klangwelten Heilings und der Menschen voneinander ab.
Michael Nagy ist ein in jeder Beziehung idealer Heiling, der seine heldischer gewordene Stimme in gleicher Weise dramatisch packend wie um Liebe flehend oder verzweifelt einzusetzen weiß. Dabei bleibt sie immer elegant, rund und bruchlos. Die Mutter ist Angela Denoke, die wie zuletzt in Salzburg in Wolfgang Rihms „Eroberung von Mexiko“, ihre ganze Bühnenpräsenz als missbrauchende Mutter einbringt. Stimmlich scheint ihr die Partie allerdings nicht so zu liegen. Als Anna kämpft Katerina Tretyakova vor allem mit den Dialogen und hatte zumindest in der besuchten dritten Vorstellung Mühen mit den Registerwechseln. Hervorragend gestaltet hingegen Stephanie Houtzeel ihre Mutter Gertrude. Für den Konrad würde man sich einen farbenreicheren Tenor als jenen von Peter Sonn wünschen. Die große Chorpartie der Geister und Dorfbewohner meistert der Arnold Schoenberg Chor (Leitung: Erwin Ortner) in bestechender Form.
Weitere Vorstellungen am 23. und 25. September – www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / Herwig Prammer