Seebühne oder Haus… oder gleich beides
BREGENZER FESTSPIELE / TURANDOT
26/07/15 Die zweite Vorstellung von Giacomo Puccinis letzter Oper Turandot im Rahmen der Bregenzer Festspiele musste nach rund 45 Minuten ins Festspielhaus verlegt werden. Das ermöglichte unterschiedliche Sichtweisen.
Von Oliver Schneider
Schon gegen 18 Uhr stauten sich die Gewitterwolken über den Lechtaler Alpen und dem Appenzeller Voralpenland auf der Schweizer Seite. Auch der Blick auf die diversen Wetter-Apps verhießen nichts Gutes. Um 20 Uhr schüttete es dann wie aus Kübeln, sodass man froh war, wenn man sich in der Festspielgastronomie im trockenen Zelt stärken konnte. Eine gute Stunde später die Ansage, man würde auf der Seebühne spielen, das Publikum müsse aber mit Schauern rechnen. Gäste ohne wetterfeste Kleidung konnten sich noch mit Plastikcapes für zwei Euro eindecken. Von „Schauern“ konnte schon nach zehn Minuten keine Rede sein, es regnete in Strömen. Abbruch nach der ersten Hälfte des zweiten Akts, TV-Übertragung hin oder her. Pfiffe von denjenigen der knapp 7000 Besucher, die nur eine Seekarte hatten.
Für 2000 Glückliche hieß es, innerhalb von zwanzig Minuten ins Festspielhaus zu übersiedeln. Einige dieser Auserwählten hatten schon vorher das Weite gesucht und damit die Chance verpasst, sich einmal ganz auf die musikalische Seite zu konzentrieren, der bei der Übertragung des Orchesterklangs aus dem Haus via Lautsprecher immer noch Grenzen gesetzt sind. Den Wiener Symphonikern unter Paolo Carignani fiel es zunächst schwer, ihre Dynamik der veränderten Situation anzupassen. Das Orchester spielt auf der Bühne, dahinter ist der Chor platziert. Die Protagonisten singen und spielen auf einem schmalen Streifen vor den Musikern. Carignani bemüht sich, das Orchester so transparent wie möglich spielen zu lassen und trotz der üppigen Orchesterfarben und den schwelgerischen Melodien, nicht ins Pathetische zu fallen. Das gelingt ihm und den volltönenden Symphonikern bestens und ist ideal für das Festspielhaus.
Zum Gelingen einer Aufführung von Puccinis zwölfter und letzter Oper muss der Chor Entscheidendes beitragen. Für die Bregenzer Festspiele ist es ein Glücksfall, dass sie auch in dieser Produktion wieder auf den Prager Philharmonischen Chor (Einstudierung: Lukáš Vasilek) zählen können, der sich gemeinsam mit dem Festspielchor (Einstudierung: Benjamin Lack) zu einem homogenen Gesamtklangkörper verbindet. Sie bilden ein stimmgewaltiges Ensemble, für das man diese Turandot in Erinnerung behalten wird. Nicht vergessen sei der Kinderchor der Musikmittelschule Bregenz (Wolfgang Schwendinger).
Die Partien sind mehrfach besetzt. Mlada Khudoley war am Freitag (24.7.) – wie bereits in der Premiere – die eiskalte Prinzessin, die erst durch Liùs Liebestod ihre Härte verliert. In der Rätselszene liess ein starkes Tremolo zunächst das Schlimmste befürchten, das sich aber mit der Zeit verflüchtigte. Möglicherweise war es dem Wechsel ins Haus geschuldet. Khudoleys Stimme besitzt die nötige hochdramatische Wucht für die Partie, um sich gegen das Orchester durchzusetzen. Darstellerisch wirkt Khudoley hingegen statisch.
Ebenso erfreulich ist Riccardo Massis Calaf, der sein „vincerò“ am Ende von Nessun dorma strahlkräftig herausschmettert, vor allem aber wunderbare Legatobögen formt. In der Inszenierung von Marco Arturo Marelli ist Calaf übrigens Puccini selbst, dem Marelli vorne rechts auf der Seebühne ein Arbeitszimmer mit Klavier geschaffen hat, so dass er immer zwischen Komponierzimmer und dem Haupthandlungsort pendeln kann.
Auch die übrigen Partien sind sorgfältig besetzt: Manuel von Senden besitzt als alter Kaiser Altoum die nötige stimmliche und darstellerische Autorität, Michael Ryssov ist ein sicherer Timur, Guanqun Yu eine Liù, deren blühendes Timbre aufhorchen lässt. Die opportunistischen und verängstigten Minister Ping, Pang, Pong sind mit André Schuen, Taylan Reinhard und Cosmin Ifrim gut ausgewählt. Gespielt wird im volksnahen Bregenz natürlich der Alfano-Schluss, oder besser gesagt eine Mischung aus dem revidierten und dem ursprünglichen Alfano-Schluss, was einmal mehr zeigt, wie unbefriedigend dieses plakative Ende mit der abrupten Sinnesänderung Turandots ist. Aber alles andere wäre wohl auf der Seebühne schwer umsetzbar.
Bleiben ein paar Worte zur Inszenierung. Die Chinesische Mauer, die gleich zu Beginn der Mitte einstürzt und den Blick auf das Riesenheer der chinesischen Krieger frei gibt, ist imposant. So wie man es in Bregenz gewöhnt ist. In der Mitte der Spielfläche davor befindet sich ein großer, drehbarer Zylinder, in dem die Staatsverwaltung vertreten durch die Minister ihren Sitz hat. Akrobaten und Feuerkünstler, Volk (Statisten, denn der Chor singt im Haus!), Turandot, die bei der Hinrichtung des Prinz von Persien im mit Lampions erleuchtete Schiff vorbeifährt. Also das übliche Seebühnen-Spektakel, vielleicht ein wenig reduzierter als in anderen Jahren.
Auf die Personenführung kommt es naturgemäß bei der Distanz zwischen der Bühne und den Zuschauern weniger an, was man dann im Haus deutlich merkt. Das ist allerdings insoweit bedenklich, als Marelli erst im letzten Jahr für die Oper Graz eine neue Turandot inszeniert hat. Dass die Wiener Staatsoper ihn im Frühjahr auch noch für eine Neuinszenierung des Werks eingeladen hat, zeugt schließlich nicht von großer Fantasie.
Weitere Vorstellungen bis 23. August - www.bregenzerfestspiele.com
Bilder: Bregenzer Festspiele / Karl Forster