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Kultur ist jetzt Blutsache

DIE FLUCHT - LANDESTHEATER LINZ

12/05/25 Als Die Flucht 1965 ins Theater in der Josefstadt kam, war die Zeit wohl noch nicht reif für solcherart NS-Aufarbeitung im Theater. Das Stück von Lida Winiewicz, zu dem Ernst Waldbrunn den autobiographischen Plot lieferte, verschwand in der Versenkung. Nun weckt es David Bösch im Landestheater Linz weder auf.

Von Reinhard Kriechbaum

Wie süffig klingt doch das ironische Lied Wie schön wäre Wien ohne Wiener, eines der Paradestücke des Schauspielers Karl Anton Winter! Doch plötzlich starrt er auf einen im Publikum, die Stimme versagt, er stürzt von der Bühne, die Vorstellung wird abgebrochen. Winter glaubt einen ehemaligen Gauleiter erkannt zu haben. Allein zurückgeblieben im Theater, erzählt er dem Nachtwächter von seinen traumatischen Erinnerungen, die sich zu lebhaften Rückblenden auswachsen.

Es sind die Erinnerungen von dem Wiener Schauspieler und Kabarettisten Ernst Waldbrunn (1907-1977). Er hat sie vor sechzig Jahren der Autorin Lida Winiewicz (1928-2020) erzählt, und die hat daraus ein Theaterstück gemacht. Fünfzig Vorstellungen erlebte Die Flucht immerhin im Theater in der Josefstadt, es gab sogar eine Einladung zu den Berliner Festwochen. Erwin Piscator interessierte sich dafür. Die Wiener Kritiken waren wohlwollend bis begeistert, aber im Grunde wollten das damals, 1965, nur wenige wirklich sehen. Lange Sendepause.

David Bösch stellt Die Flucht, punktgenau achtzig Jahre nach Kriegsende, in den Kammerspielen des Landestheaters Linz zur Diskussion. Karl Anton Winter, Halbjude, ist in Komotau (heute Chomutov in Tschechien) engagiert. Er erfährt, dass seine Sondergenehmigung zu spielen demnächst ausläuft. „Kultur ist jetzt Blutsache“, erklärt der Theaterdirektor lapidar. Dem Schauspieler droht Arbeit im Bergwerk, doch durch persönliche Beziehungen kommt er an eine andere Provinzbühne, Gleiwitz in Oberschlesien (Gliwice in Polen).

Hier kommt es zu einer fatalen Liaison: Der Gauleiter, ein belesener und kunstinteressierter Mensch, der gleichwohl Todesurteile noch und noch unterzeichnet, holt den Schauspieler immer wieder zur eigenen Unterhaltung privat zu sich. Genau das hat Ernst Waldbrunn tatsächlich so erlebt: Hans Franz, als „Schlächter von Polen“ zu traurigem Ruhm gekommen, war dieser Nazi-Bonze, als dessen „Hofnarr“ Waldbrunn hat herhalten müssen. „Was ich sage, ist arisch“, sagt er einmal höhnisch zum Halbjuden. Realität in seinem Leben und im Stück: Nach einem Ausbruchsversuch aus einem Nazi-Lager „schenkte“ der Gauleiter dem Schauspieler/Waldbrunn das Leben.

An diesem Punkt kommt erst der eigentlich interessante Aspekt des Stücks ins Spiel: Der Gauleiter, nun als Kriegsverbrecher gesucht, taucht tatsächlich wieder auf, in Wien. Der Schauspieler gewährt ihm ein paar Tage Unterschlupf (für Ernst Waldbrunn angeblich eine reale Angstvorstellung). Ist das Opfer dem Täter etwas „schuldig“? Die klassische Täter-Opfer-Umkehr ist eben nicht nur Selbstvertedigungs-Strategie der wirklich Schuldigen, sie schlägt sich fatalerweise auch im Kopf jener nieder, die das Leid haben ertragen müssen.

Dieser Themenkomplex wird im Stück, das David Bösch sehr geradlinig, seriös, mit untadeligem Theaterhandwerk und in einprägsamen Bildern nacherzählt, angesprochen, aber nicht wirklich ausgebreitet. Der Regisseur schärfte unaufdringlich nach, unter anderem mit Chansons. Unschlagbar natürlich ein Klassiker von Georg Kreisler, der Weg zur Arbeit, entstanden drei Jahre nach dem Stück Die Flucht: Da begegnen ihm innerhalb weniger Minuten Menschen mit Nazi-Vergangenheit, die dafür nie belangt worden sind.

Einprägsam zwei schauspielerische Leistungen: Christian Higer ist die zentrale Figur, der Schauspieler Winter, gleich kompetent als Wienerlied-Sänger wie als Chansonnier. Er findet differenzierte und glaubwürdige Töne für einen Charakter, der wie die meisten damals nicht zum Widerständler taugte. Der mangelnde Mumm wird sich ihm später auf seine Seele schlagen. Christian Taubenheim ist der Widerpart: ein Gauleiter von vermeintlicher Jovialität, die einem das Blut in den Adern frieren lassen könnte. Vier weitere Schauspieler übernehmen teils mehrere Nebenrollen, die gefährlich in Knallchargen abgleiten. Ein bewusst eingesetztes, aber nicht unbedingt überzeugendes Stilmittel.

Aufführungen bis 31. Mai in den Kammerspielen des Linzer Landestheaters – www.landestheater-linz.at
Bilder: Landestheater Linz / Herwig Prammer

 

 

 

 

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