In Ruhe ein Arschloch sein
WIEN / BURGTHEATER / ELISABETH!
13/04/24 Mit 16 Jahren zwangsverheiratet, vier Kinder geboren. Geld gegen geraubte Unschuld. Der Körper der Kaiserin dient politischen Zwecken. Wird nach dem Tod weiter verwertet. Bis heute. Als Frau darfst du nicht einmal in Ruhe tot sein. – Stefanie Reinsperger setzt in der Regie von Fritzi Wartenberg Mareike Fallwickls Theatermonolog ELISABETH! um in pure Energie.
Von Heidemarie Klabacher
Sie lächelt schüchtern von Kaffeehäferln. Präsentiert ihre Taille im Museum. Die liebreizende Prinzessin aus Bayern. Vom jungen Kaiser erwählt. Zu ewiger Schönheit verdammt. Sogar ihre Haarsterne (die originalen hat möglicherweise die Tocher verschlampt) kann man beim ehemaligen Hof-Juwelier günstig nach-shoppen. Die Winterhalter Gemälde tyrannisieren mich! Kein Comic hier, aber bitte die Sprechblase WürgKotzSpeib vorstellen.
Der Kaiserin reicht's. Sie stürmt von der gülden schimmernden Bühne. „Kann ich mal ein bisserl Saallicht.“ Sie kann. Stefanie Reinsperger/Elisabeth kriegt Licht und Schere. Schleppe, Korsett, Königinnenhintern (Cul de Paris) hatte sie da mit viel Mühe und Geächz – da ohne Zofe – schon vorher abgelegt. Jetzt geht’s an die Haare (die Sisi-Sterne sind so ziemlich als erste geflogen). Jemand im Publikum hilft den Haarschopf halten. „Die Schere darf ich nicht hergeben, weil man weiß nie, von wem man erstochen wird.“
Es ist viel Komik in der Produktion. Aber solcher Slapstick beschränkt sich auf das stückweise quasi leitmotivische Ablegen und Wiederverwerten der Teile der monumentalen Robe von Kostümbildnerin Leonie Falke. Irgendwann einmal schleppt Elisabeth/Stefanie einen abgehäuteten Pferdekadaver in das gold-verspiegelte Boudoir der Bühnenbildnerin Jessica Rockstroh auf der Vorderbühne (mehr Raum kriegt die Kaiserin nicht in ihrem Ex-Hoftheater). Mit Müh und Plag und weiterem Geächze, der Kadaver wiegt offenbar schwer, werden Korsett, Schleppe und Co dem toten Gaul umgehängt. „Pferd“ ist im Sisi-Kontext natürlich ein Trigger. Auch dazu tauchen im Kollektivkopf der gelernten Österreicherinnen und Österreicher die passenden Bilder auf. Der tote Gaul bleibt trotzdem ein dramaturgisch nicht ganz plausibel auflösbares Menetekel.
Bedrohlicher freilich, dass so viele der Klischees, die die Autorin Mareike Fallwickl in ihrem brillant am Leben der Kaiserin und den Zeitläuften der Monarchie entlang-erzählenden Monolog aufgreift, noch immer halten. Interpunktiert ist die Monarchie-Zeitleiste nämlich mit waghalsigen Sprüngen zu weiteren Frauenschicksalen, sei es der algerischen Boxerin Imane Khelif, der in Bewusstlosigkeit vielfach vergewaltigten Gisèle Pelicot oder der amerikanischen Bürgerrechtlerin Rosa Parks. Sie hat Menschenrechts-Geschichte geschrieben, als sie 1955 in Montgomery im US-Bundesstaat Alabama festgenommen wurde, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen. Es ist sprachlich geschickt und theater-dramaturgisch klug, wie die Autorin diese Frauen-Unterdrückungs-Ermächtiguns-Schicksale mit dem priviligierten und doch so frembestimmten Leben der Kaiserin verknüpft:
Es entsteht ein durchaus mit Bemühen um künstlerische Distanz gewirkter Bilderteppich voll Frauenleben. ELISABETH! ist feministisch in der Wolle gefärbt, aber nicht eindimensional oder banal alltagsaktuell (da ist schon die Hauptfigur auf dem Kaiserthron davor). Unzählige Sätze sind so treffsicher für die Schlagzeile wie fürs Stammbuch tauglich. (To do: Buch als Zitatenvorat anschaffen.)
Für zusätzliche das Energie-Niveau weiter steigernde Ausbrüche sorgen von links vorne mit Schlagzeug, Gitarre und Stimme Lilian Kaufmann und Elena Ulrich. Wenn sie aus dem Musical ziteren Ich gehör nur mir gibt man der Autorin und ihrer Figur recht: Was Falscheres ist über Elisabeth von Österreich (oder so und so weiter) selten einmal geschrieben worden. Dass Frauen Krieg führen gegen den eigenen Körper sei allen recht: Dann haben sie keine Zeit für Revolution. Die vielfach abwesende Mutter? Ich war im Leben meiner Kinder – ein Vater. Das sitzt.
Als Frau, die auch mal die Zofe ankeift, darf man nicht einmal in Ruhe ein Arschloch sein. Schönheitskaiserin mit Hungerödemen? Ich war so hungrig in meiner Seele, da war der Körper auch schon egal. Das schmerzt angesichts des verheerenden Körperbildes junger Frauen von heute. Der Ehemann? Ja, er kommt auch gelegentlich vor und so schlecht gar nicht einmal weg (war letztlich auch nur mehr eine Marionette): Er glaubt, wir sind jetzt in einer der glücklichsten Epochen Österreichs... schreibt der Thronfolger, vom Vater Krepierl genannt. Der Selbstmörder mit der jugendlichen Geliebten. Rudolf hat sie in den Kopf geschossen, weil er allein zu feig war.
Schwiegermama Sophie, die Schratt, der Kaiser mit dem Bart, sie alle haben ihre paar Momente in Mareike Fallwickls Text. Dass sie Sisi-Geschichten und Sissi-G'schichterln noch und noch ausgräbt, abstaubt und aus aktuell-feministischem Blickwinkel neu betrachtet – und dabei keine neuen Klischees in die Welt setzt, ist beachtlich. Der Text ist hervorragend. Seine Umsetzung durch Stefanie Reinsperger und das Leitungsteam brillant. Jubel, Ovation und kaum ein Ende davon. Wann ist die nächste Aufführung...
ELISABETH! – Aufführungen im Burgetheater bis 17. Mai – www.burgtheater.at
Bilder: Burgtheater / Tommy Hetzel