Egal. Scheißegal.
WIEN / AKADEMIETHATER / EGAL, ELLEN BABIĆ
18/02/25 „Gesellschaftlich sind wir die Vorreiter“, sagt Erik in einem Anflug von gespieltem Optimismus. Simone darauf trocken: „Aber es reitet uns niemand hinterher.“ Sie ist gerade von einer Geschäftsreise heimgekommen, er hat derweil den Haushalt geschupft und auf die beiden Kinder geschaut.
Von Reinhard Kriechbaum
Allerhöchstes Konfliktpotential also in Marius von Mayenburgs pikant-schrulliger Komödie Egal, die im Wiener Akademietheater mit seinem Kriminal-Thriller Ellen Babić zur Doppelpremiere kam. Die beiden Stücke mit Caroline Peters und Dörte Lyssewski in den weiblichen Hauptrollen, werden dann aber getrennt gezeigt.
Egal heißt nicht unbedingt “gleichgültig”. “Gleichwertig” meint das Wort im Französischen, und genau das verhandelt Marius von Mayenburg, dieser hinterhältige Analytiker fehlgeleiteter gesellschaftlicher Konventionen, im zugespitzten Komödienton. Business-Hosenanzug trifft auf Pyjamahose. Der unvermeidliche Streit entzündet sich an banalsten Sätzen. Sie hat ihm ein Geschenk mitgebracht. Das will er partout nicht haben, das Paket bleibt die längste Zeit ungeöffnet.
Sein Selbstwert steht auf dem Prüfstand. Es ist eben nicht egal, wenn sie das Geld auswärts verdient, während er neben der Familienarbeit im Home Office reichlich unbedankt für einen Verlag als Übersetzer arbeitet. Keiner von beiden findet Erfüllung im Beruf, was sie sich selbst am allerwenigsten eingestehen wollen. Der Frust entlädt sich in Stehsätzen und Floskeln, die das Ehepaar augenscheinlich in Jahren perfektioniert hat. Jedes Wort ein Volltreffer ins ramponierte Ego des anderen.
Marius von Mayenburg trickst aber. Er lässt das Paar mehrmals die Rollen wechseln. Fast wortgleiche Dialoge, aber ganz andere Schräglagen, veränderte Situationskomik. Das geht ein paarmal so hin und her, und mit jedem Gender-Tausch wird man auch als Zuschauer hineingezogen in die Fallen einzementierter gesellschaftlicher Festschreibungen.
Regisseur Thomas Jonigk hat leichtes Spiel mit Caroline Peters (sie ist jetzt wieder im Ensemble des Burgtheaters, feiert in dieser Rolle Einstand) und Michael Wächter. Die beiden liefern einen Schlagabtausch mit perfektem Timing. Nichts Schrilles, der Wahnsinn kommt eher im flauschigen Parlando daher. Bravourös die Peters, wie sie vorgebrachte Argumente beständig mit Mimik und Gestik Lügen straft. Der Ehepaar-Fight endet nicht in Mord und Totschlag, sondern in Resignation. Sie: „Uns fehlen Geschirrspüler-Tabs, Milch und Avocados.“ Er: „Egal. Scheißegal.“
Da wurden also zwei Mayenburg-Stücke zusammengespannt, die beide in Reykjavik uraufgeführt wurden, “Egal” 2023, Ellen Babić 2022. Ersteres eine deutschsprachige, zweiteres eine österreichische Erstaufführung.
Im minimalistischen Bühnenbild von Lisa Däßler lenkt nichts ab von den fulminanten schauspielerischen Leistungen auch im Seelenthriller Ellen Babić. Wie nebenher fällt da die Bemerkung: „Wie Lehrer einen prägen können.“ Die Lehrerin Astrid (Dörte Lyssewski) lebt mit ihrer ehemaligen Schülerin Klara (Maresi Rieger) in lesbischer Beziehung. Ins Wohnzimmer der beiden schneit Wolfram, der Schuldirektor (Jörg Raten). Im Raum schweben ein #MeToo-Verdacht, Beziehungen mit Abhängigen, gar Unmündigen. Nichts darf man verraten, denn dieses ur-spannende Stück lebt davon, dass nach und nach Abgründe aufgedeckt werden. Der Mann führt sich als Hyper-Fiesling ein, der seine Bosheiten mit gefährlich monotoner Stimme und Pokerface absondert. Aber da sind eben auch Rechnungen offen, die Astrid in gehörigen Argumentationsnotstand bringen, in ihr aber ungeahnte Kräfte der Verteidigung wecken. Dörte Lyssewski bringt das umwerfend facettenreich rüber.
Was die Verbindung beider Stücke nahe legt: Es geht ums Auseinanderklaffen von Selbstbildern und gesellschaftlichen Konventionen, einmal spielerisch zugespitzt zur Farce, das andere Mal geschwärzt mit bedrohlichem Touch. Regisseur Thomas Jonigk trifft beide Idiome punktgenau. Erwartungsgemäß nicht die Spur einer Lösung in Ellen Babić, aber die mahnende Einsicht, dass „das Lügen aufhören“ muss. Wird es natürlich nicht, und das ist leider nicht scheißegal.
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Bilder: Burgtheater / Monika Rittershaus