Die Winter-Romantik lassen wir uns ja höchst ungern nehmen, auch wenn die meteorologische Erfahrung entschieden dagegen spricht. Weiße Weihnachten gab es im Osten Österreichs zuletzt 2012, und auch sonst fällt – das gilt für alle Landeshauptstädte – deutlich weniger Schnee. Guter Grund also, im Museumsdepot Ausschau zu halten nach dem sprichwörtlichen „Schnee von gestern“. Der Streifzug fiele wohl in jedem anderen Landesmuseum nicht minder ergiebig aus.
Im Wien Museum geht man seit dessen Wiedereröffnung im Dezember 2023 einen Weg, der von der zuletzt vorherrschenden Museumspraxis entschieden abweicht. In den letzten Jahrzehnten hat man eher Fokussierung und Reduktion von Exponaten angepeilt. Bloß die Besucher nicht überfordern! Im Wien Museum setzt man jetzt, in der Dauerausstellung wie in Sonderpräsentationen, lieber auf die Fülle. Und das ist sehr gut so. Das Winter-Thema ist also hier weit mehr als eine Schau heimeliger Veduten, verbunden mit mahnenden Hinweisen auf die Erderwärmung. Zu erleben ist eine umfassende Kultur- und Sozialgeschichte einer Jahreszeit. Man sollte sich Zeit dafür nehmen
Schon schön, als man im Prater noch rodeln und auf der Alten Donau noch eislaufen konnte! Wenn aber treibende Eisschollen sich auf der Donau übereinander schichteten, war es um die Ernährung der Bevölkerung in der Millionenstadt, vor allem für die Armen, schlecht bestellt. Berührend die sich nach ein paar von einem Karren gefallenen Kohlen bückende alte Frau in einem Bild von Hermine Heller-Ostersetzer. Sie betitelte 1900 eine Bildserie mit „Das Leben der Armen ist bittrer als der Reichen Tod“. 1929 hat die Gemeinde sechs „Wawalstub'n“ (Wärmestuben) für je hundert Menschen zur Verfügung gestellt und Frierenden 94 Schulgebäude geöffnet. Heutzutage nehmen Caritas und andere Institutionen jeden Winter gut 17.000 Menschen in Wärmestuben auf. Die Pudelhaub'n hat also auch in Zeiten weitgehend schneeloser Winter nicht ausgedient.
Wintervegnügen! 1867 wurde der Wiener Eislaufverein gegründet, das Eislaufen war ein Sport auch für ärmere Bevölkerungsschichten und entsprechend populär. Die erste Freiluft-Kunsteisbahn in Hernals im Jahre 1909 war eine weltweit bahnbrechende Erfindung von Eduard Engelmann. 1946 wurde die Wiener Eisrevue gegründet, für die ab 1952 Robert Stolz die Musik schrieb.
Rodeln zwischen Gemeindebauten? Fotografien zeigen es. Es gab in Wien aber auch Skilifte (jener auf der Hohen Wand steht seit 2017 aus Schneemangel still), einmal in den 1980ern sogar ein Weltcuprennen. Und auch Skisprungbewerbe wurden abgehalten. Die Tourismuswerbung bewarb in der Zwischenkriegszeit Wien als Wintersport-Destination.
Eine Wiener Erfindung: die Schneekugel. Um 1900 hat sich Erwin Perzy, Mechaniker für chirurgische Instrumente, die „Glaskugel mit Schneeeffekt“ ausgedacht. Die Manufaktur im 17. Gemeindebezirk gibt es immer noch.
Empfangen wird man in der Winter-Ausstellung von einer Gemäldewand in Petersburger Hängung, Winterbilder beginnend mit Rudolf von Alt bis in die Gegenwart. Mit einem Fernglas können Kinder (und nicht nur sie) auf eine verschneite Stadtlandschaft von Rudolf Hradil blicken. Weihnachtliche Beleuchtung hat seit je her auch Malerinnen und Maler herausgefordert. Der Ausstellungsbereich „Lichterglanz“ führt freilich direkt in die „helle Not“, sprich: Den Winter-Sternenhimmel sieht man ob der adventlichen Lichterflut längst nicht mehr. Eine Wand mit Abstraktionen von Eiskristallen lenkt das Augenmerk auf Franz Čižek (1865-1946). Er gilt als Pionier des Zeichenunterrichts und als Begründer der Jugendkunstbewegung. Sein Wirken, seine internationale Vernetzung auf dem Gebiet der Kunstpädagogik gäbe wohl eine eigene Ausstellung her.
Historische Fotos noch und noch: Ein Eingangstor zum Burggarten, 1938/39, Schneeidylle. Man entdeckt die Tafel „Zutritt für Juden verboten“. Dasselbe Motiv 1944. Da war keine Verbotstafel mehr notwendig, Juden hat es da höchstens noch in Verstecken gegeben. Historische und soziale Aspekte kommen in der materialreichen Schau nicht zu kurz.
Und natürlich Schnee als Herausforderung für die Stadtverwaltung: Schneeschaufeln war eine traditionelle Verdienstmöglichkeit für Arbeitslose. Mehr als 10.000 Schneearbeiter wurden immer wieder kurzfristig aufgenommen, mit Pferdekarren wurde der Schnee mühselig weggeführt. Standen der Stadt Wien Ende 1928 236 Schneepflüge für Pferdebespannung und vierzehn automobile Zugwagen mit zwanzig Anhängern zur Verfügung, so sind heute 280 Räum- und Streufahrzeuge und rund achtzig zusätzliche Spezialfahrzeuge einsatzbereit. Gute Versorgung für so wenige Schnee-Tage. Übrigens konnten ab 1907 an Straßenbahnen seitlich montierte Schneepflüge auch die daneben liegende Fahrbahn freilegen.