Operetten-Tristan samt Alpensymphonie

LEHAR FESTIVAL / SCHÖN IST DIE WELT

13/08/23 Eine Prinzessin will den Kronprinzen nicht heiraten und der Kronprinz sie auch nicht. Die beiden recht modern denkenden jungen Leute kennen einander nur vom Hörensagen, fliehen inkognito, erwischen dasselbe Alpenhotel, besteigen einen Gipfel, sind dort endlich allein und verlieben sich prompt ineinander.

Von Gottfried Franz Kasparek

Zurück im Tal, steht einem glücklichen Ende also nichts mehr im Wege: Schön ist die Welt! Es gibt intelligentere Libretti, auch in der Operette. Aber was hat Franz Lehár daraus gemacht! Im Frühling 1914 in Wien war die Problematik dynastischer Zwangsehen noch sehr aktuell, also traf Endlich allein, so der Titel der ersten Werkfassung, durchaus noch die Zeit – sollte man meinen, doch damals war der Prinz nur ein Baron und die Prinzessin eine Diva.

Anno 1930 war die Welt auch nicht besonders schön, es sei denn, für frisch Verliebte in malerischer Umgebung. Monarchien gab es immer noch und gibt es bis heute. Allerdings sind die Heiratsregeln sogar in gekrönten Kreisen ziemlich locker geworden. Beide Versionen der Operette hatten nur begrenzt Erfolg, trotz der umjubelten Stars Gitta Alpár und Richard Tauber im Berliner Metropoltheater.

Also ist das Stück ein Fall für die verdienstvolle Aufarbeitung rarer Stücke Lehárs durch das Lehár Festival Bad Ischl und das CD-Label cpo. Wobei die semikonzertante Aufführung, wie schon in den letzten Jahren, so geschickt vor das Orchester gestellt wird, dass man ein echtes Theaterstück erlebt – und noch dazu im Original, nicht nur was die Musik betrifft. Die Musik ist allerdings der wesentliche Grund für eine Wiedererweckung. Denn Lehár, 1914 mitten in seiner experimentellsten Phase, zeigte sich hier gar nicht müde. Die wundersamen Melodien fließen nur so dahin, kriechen ins Ohr und verlassen es so schnell nicht wieder.

Formal ist diese Boulevard-Komödie freilich ein höchst eigenwilliger Hybrid. Zwischen zwei typischen Operettenakten fügt sich ein etwa 45 Minuten langer zweiter Akt, der fast durchkomponiert ist und in jeder vom Verismo inspirierten Oper dieser Zeit gute Figur machen würde. Lehár hat mit seinem unverwechselbaren Melos nicht nur ein hoch emotionales, weit atmendes Liebesduett geschaffen (man nannte es „Operetten-Tristan), sondern auch seine ganz persönliche „Alpensinfonie“, in der er mit farbenprächtig instrumentierter Naturmalerei der Geschichte einen faszinierend schillernden Rahmen gab.

Und in der Tat sind nur die beiden Liebenden auf der Bühne, er als fescher Bergführer verkleidet, sie als zwar verwöhnte, aber doch selbstbewusste und sportliche „höhere Tochter“. Der junge Mann hat, wohl eine Beigabe von 1930, ein Transistorradio mit, in dem vor dem von einer Lawine gebremstem dramatischen Abstiegsversuch wegen alpiner und seelischer Gewitter die vermisste Prinzessin gesucht und das Inkognito gelüftet wird. Ansonsten hat der Komponist diesen Akt fast unverändert aus der ersten Fassung übernommen.

Im Gegensatz zum textlich allzu biederen Schluss der Bergszene, der diesmal, da ohnehin nur gesprochen, wegfällt, macht die Musik ohnehin klar, dass das Paar in der Berghütte sein Glück finden wird. Wie überhaupt das Stück beweist, wie sehr ehrlich und leidenschaftlich empfundene Musik allerlei hanebüchene Textblüten vergessen machen kann. Davor und danach kamen in Berlin zu den Walzern ein Slow-Fox und ein Tango, die ordentlich zünden. Doch sogar heutzutage ist zu bemerken, dass der bloß achtungsvoll beklatschte Opern-Einakter dazwischen das Operettenpublikum zum Teil überfordert.

Angela Schweiger hat wieder werkdienlich und beschwingt inszeniert, in kleidsamen 1920er-Jahre-Kostümen von Simone Weißenbacher und mit pfiffigen Choreografien von Evamaria Mayer. Der im Grand-Hotel im Tal sehr gefragte Chor erweist sich als von Matthias Schoberwalter treffsicher einstudiert, das Franz Lehár-Orchester spielt mit Herzblut und Präzision die verzaubernde Musik seines Namenspatrons. Marius Burkert ist am Pult die musikalische Seele der Produktion und opernerfahren genug, um die Schönheiten der Partitur diffizil herauszuarbeiten.

Die jeweiligen Elternteile – Klára Vincze als mütterlich-matronenhafte Herzogin und Gerd Vogel als bei aller Altbackenheit eleganter königlicher Vater – spielen ihre komischen Rollen mit Lust. Ein für die Handlung nicht weiter bedeutsames Buffopaar gibt es auch. Die frisch und frank singende Soubrette Katharina Linhard wirkt als Tänzerin Mercedes sexy, wenn auch nicht besonders brasilianisch. Jonathan Hartzendorf ist ihr sympathisch „patscherter“ Partner Graf Karlowitz – wer in dieser Ehe die Hosen anhat, ist völlig klar. Joseph Terterian (Jazzsänger) und der aus Salzburg bestens bekannte Spieltenor Johannes Hubmer (Hoteldirektor) mischen spielfreudig mit.

Im Zentrum stehen natürlich der Prinz und die Prinzessin. Thomas Blondelle, nicht unbedingt ein Tenor mit betörendem Schmelz, aber ein perfekter Singschauspieler mit guter Technik und kraftvollen Höhen, bietet als Georg seine bisher beste Leistung in Ischl. Seine reiche Opernerfahrung bis hin zu Wagner kommt ihm gerade in dieser Rolle zugute. Sieglinde Feldhofer, apart in der Erscheinung, liebevoll und absolut glaubwürdig im Spiel, gesegnet mit wahrlich blühendem Sopran, ist als Elisabeth zweifellos die Königin des Abends. Verstärken müsste man dieses Paar gar nicht. Gottlob geschieht dies diesmal, geschuldet wohl der CD-Aufnahme, erfreulich dezent. Großer Jubel war der gerechte Lohn.

Weitere Vorstellungen am 13. August (15.30 Uhr,) sowie am 17. August um 15.30 und 20 Uhr – www.leharfestival.at
Bilder: Lehár Festival / Foto Hofer