Schon mal vom Nechledilmarsch gehört?

BAD ISCHL / LEHAR FESTIVAL / WIENER FRAUEN

15/08/22 Es ist die allererste Operette von Franz Lehár, nachdem er 1896 mit der tragischen Oper Kukuschka einen Achtungserfolg in Leipzig erzielt hatte. Lehár strebte sein Leben lang nach der Opernbühne. Mit dem Rastelbinder freilich begann sein Welterfolg als Meister der „Wiener Operette“. Kurz davor herausgekommen: Wiener Frauen

Von Gottfried Franz Kasparek

Franz Lehár war ein genialer Schöpfer unvergesslicher Melodien und ein Orchesterklang-Zauberer am Puls seiner Zeit. Diese Vorzüge finden wir auch schon in den 1902 im Theater an der Wien uraufgeführten Wiener Frauen. Der größte „Schlager“ des Stücks ist der unwiderstehliche Nechledilmarsch, mit dem sich im Original der altgediente böhmische Musiklehrer Johann Nepomuk Nechledil selbst feiert – bei der Uraufführung nahm ihm Alexander Girardi, die Starbesetzung des ein wenig jüngeren Klavierlehrers und -stimmers Willibald Brandl, diese Nummer einfach weg. In Ischl spielt man fast strichlos das Originalwerk, also darf Josef Forstner diese seine Glanznummer singen und tanzen. Ja, auch tanzen, denn dies ist ein ganz wunderbarer altösterreichischer Marsch. Forstner, 75 Jahr jung, ist noch sehr gut in Schwung, auch was seinen kernigen Bassbariton betrifft.

Den gutmütigen Brandl gibt ein gestandener Opernbariton, Gerd Vogel, der neben einer langen Wagner-Karriere nie seine Liebe zur Operette vergessen hat. In seiner Rolle geht es um das Vergessen eines Heiratsversprechens, das ihm einst seine Schülerin Claire gegeben hat.Wie das Leben so spielt, ist Claire gerade dabei, den feschen jungen Philip zu ehelichen, als der alte Brandl wieder auftaucht.

Die romantische Teenager-Verehrung samt einer volkstümlichen Liebesweise, komponiert vom einst brünstigen Pädagogen, sorgt für Skrupel und Verwirrungen. Nachdem Brandl gleich drei Eheversprechen an die drei Töchter Nechledils abgeluchst werden, siegen gleichsam Jugend und Vernunft. Claire und Philip werden ein Paar, das andere werden Willibald und das nicht mehr ganz junge Stubenmädel Jeanette.

Claire ist Sieglinde Feldhofer, die wohl beste Operettensopranistin unserer Tage. Auch sie ist in der Oper genauso zuhause. Sie spielt mit Herz und Leidenschaft und ganz ohne Diven-Gehabe. Sie sieht nicht nur bezaubernd aus, sie verfügt über eine perfekt geführte, in allen Lagen wundersam ansprechende, in der Höhe aufjubelnde Stimme von edelmetallisch legiertem Charakter und derzeit in diesem Fach singulärer Qualität.

 Ihr Philip ist Thomas Blondelle, in Berlin zum Beispiel als Tamino und „Meistersinger“-David beliebt, ein souverän artikulierender Bonvivant, der weiß, wie man einen Frack trägt und Pointen serviert.

Sein eher robuster Tenor ist freilich mehr dem Charakterfach zugeneigt und lässt mitunter lyrischen Schmelz vermissen. Frische junge Stimmen und vergnügliche Spiellaune bieten Magdalena Hallste (Jeanette) und das Nechlidil'sche, leicht skurrile Dreimäderlhaus, witzig dargestellt von Marie-Luise Schottleitner, Elisabeth Zeiler und Klára Vincze. Claires matronenhafte Mutter ist mit auftrumpfender Komik Susanna Hirschler, der erstaunlich diskrete Dritte-Akt-Komiker und den Knoten zerhauende Anwalt Matthias Schuppli.

Die als „halbszenisch“ angekündigte Produktion ist eigentlich szenisch, denn vor dem Orchester im Bühnen-Hintergrund hat Angela Schweiger mit spürbarer Liebe zum Genre eine launige, die Personen sensibel zeichnende, vollgültige Inszenierung mit wenigen, passenden Requisiten gemacht, in den die Entstehungszeit des Stücks phantasievoll zitierenden Kostümen von Simone Weißenbacher. Ein weiterer Glanzpunkt der Aufführung ist die nicht bloß rasante, sondern auch elegante Choreographie von Evamaria Mayer. Es braucht nicht sehr viel an Technik, um ein Stück zum Leben zu erwecken - es braucht Stilgefühl und Geschmack. Chapeau!

Apropos Technik – warum alle Mitwirkenden (ausgenommen der von Christoph Huber bestens studierte Chor und der bloß sprechende Anwalt) die Gesichter entstellende Mikroports tragen müssen, ist rätselhaft. Die tapferen Tontechniker des Hauses, vielgeprüft in einem akustisch fatal verunglückten Saal, erklären auf Nachfrage, die Anlage sei schon wegen des CD-Mitschnitts kaum zum Einsatz gekommen. Das Opernensemble auf Laufstegen vor der Bühne hat keine Probleme, sich mit natürlichen Mitteln hörbar zu machen, eher ist die Balance zwischen Stimmen und Orchester oft nicht ideal. Die musikalische Seele des Abends ist Maestro Marius Burkert, der mit dem famos aufspielenden Franz Lehár-Orchester alle Feinheiten der wertvollen Musik herausarbeitet, ohne deren jugendfrischen Applomb zu unterschätzen. Und schon gar nicht jene bei diesem Komponisten bestimmende schöne Melancholie, die sogar wilde Buffonummern unterfüttert. Ihr ehrliches Sentiment ist unverkennbar, doch es wird, so differenziert musiziert, nie Sentimentalität daraus.

„Wiener Frauen“ ist in Bad Ischl noch zweimal am 18. August zu sehen, um 15.30 und um 20 Uhr. Die CD-Ersteinspielung wird im Sommer 2023 bei cpo erscheinen – www.leharfestival.at
Bilder: Lehàr Festival / www.fotohofer.at