Der König turnt in seinem „W“

NATIONALBIBLIOTHEK / WENZELSBIBEL DIGITAL

21/01/22 Die Wenzelsbibel, eine der ersten ins Deutsche übersetzten Bibeln, gehört zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Darin blättern? Für Laien unmöglich. Dafür kann die einzigartige Pracht-Handschrift vom Ende des 14. Jahrhunderts nun online auf der Website der Nationalbibliothek bestaunt werden. Und sogar Salzburger waren daran beteiligt!

Von Heidemarie Klabacher

„Die Zeitalter der Riesen-Bibeln war schon lang vorbei“ als der böhmischen König Wenzel den Auftrag gegeben hat. Klingt wie ein Märchen. Und ist auch eins, zumindest für Bücherfreunde. In Prag entstanden, wenn auch nicht fertig geworden, sind insgesamt sechs monumentale, unschätzbar wertvolle, kostbar ausgestaltete Bände. Ihre 646 Miniaturen samt feinstem Rankenwerk werden von unzähligen Menschen und Tieren und Tierwesen „bewohnt“. Viele der staunenswert winzigen und fein gepinselten Malereien sind mit Gold ausgelegt. Auf das Blattgold etwa muss bei der Digitalisierung besonders gut aufgepasst werden.

Die Wenzelsbibel wurde zwischen 1390 und 1400 vom böhmischen König Wenzel IV. in Auftrag gegeben. Die Bücher sind mit 530 x 365 mm „ungewöhnlich großformatig“. Ebenfalls ungewöhnlich: Der Auftraggeber selber - König Wenzel IV. wird „prominent in jedem Band, mitunter in vielen versteckten Emblemen, dargestellt“. Noch viel reizvoller als der König in seinem „W“ herumkletternd, sind für Nicht-Historiker die duftig bekleideten Bademädchen oder die schillernden Eisvögel im Rankenwerk. Spannend auch: Es ist eine deutsche Bibel, obwohl die Kirche damals Übersetzungen in „Volkssprachen“ noch gar nicht gerne gesehen hat. Der König pfiff auf das Verbot. Wer der Übersetzer war, sei nicht bekannt, heißt es bei Wikpedia; in der Nationalbibliothek weiß man das sicher genauer. Wenn nicht, hilft vielleicht ein neues Forschungsprojekt weiter.

„Die Wenzelsbibel stand schon immer im Zentrum der Forschung“, erzählt Andreas Fingernagel, der Leiter der Sammlung für Handschriften und alte Drucke an der Nationalbibliothek im kurzen Video zum Projekt auf der Website der NB. In früheren Jahren sei es vor allem um kunsthistorische Fragen gegangen.„Jetzt machen wir gemeinsam mit dem Fachbereich Germanistik und dem Fachbereich Computerwissenschaften an der Universität Salzburg und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien ein Forschungsprojekt, das eine Edition der Wenzelsbibel, zumindest der ersten Bücher, vorsieht.“

Das Innovative an diesem Projekt sei, so Fingernagel, die Einbeziehung der Computer-Wissenschaften. Mit deren Hilfe werde etwa untersucht, ob mit den Möglichkeiten von Bild- Text- oder Mustererkennung so manche ungeklärte Frage der Urheberschaft präzisiert werden könne. „Schreiberhände“ oder „Malerhände“ nennt man das, und meint damit, wer hat welche Seiten geschrieben, wer welche Miniaturen gemalt. Die einzelnen Mitarbeiter der Wenzels-Werkstatt sind ja, wie Künstler des Mittelalters überhaupt, nicht namentlich bekannt. Von der Wissenschaft werden sie mit Notnamen nach ihren Werken benannt und der Maler des Buches Ruth heißt dann halt „Ruth-Meister“.

Bei aller Monumentalität ist die Wenzelsbibel ein Fragment geblieben: „Sie wurde aufgrund der politischen Umstände – König Wenzel wurde 1400 abgesetzt – nicht fertiggestellt“, erinnert Andreas Fingernagel. Die Wenzelsbibel kam im 17. Jahrhundert über die Bibliotheken der Innsbrucker Hofburg und des Schlosses Amrbas in die Bestände der Hofbibliothek in Wien. Aus der Geschichte der bibliophilen Kostbarkeit erzählt der Leiter der Sammlung für Handschriften und alte Drucke ebenfalls im Video.

„Bibel“ meint in diesem Falle übrigens Altes Testament – und selbst das ist nicht vollständig. Und Jesus – samt Krippe und so – sucht man überhaupt vergeben. Zum Neuen Testament ist es gleich gar nicht gekommen. Den Fragment-Charakter bezeugen auch die vielen Leerstellen auf den handbeschriebenen  Blättern: Wenn man durch die digitalisierten Bände scrollt, sieht man, wo auf den jeweils zweispaltig angelegten Textseiten, Platz für Abbildungen freigehalten wurde, die nie gemalt worden sind... Beim digitalen Blättern anfangen mit den Bänden sieben und sechs! Da sind die meisten „Bilder“.

Die insgesamt 1.214 Pergamentblätter der sechs Bände sind „ein Jahr lang mit größter Vorsicht gescannt“ worden. Die Digitalisierung der Wenzelsbibel stehe „exemplarisch für das Ziel der Österreichischen Nationalbibliothek, einen zeitlosen, räumlich uneingeschränkten Zugang zu den Beständen zu ermöglichen. Manche Bestände können aufgrund ihrer Erhaltungszustände nur sehr restriktiv im Original verwendet werden“, berichtet Andreas Fingernagel. „Mittels hochmoderner Scanner“ domf in den letzten Jahren digitale Ausgaben von mehr als 10.000 teils fragilen und kostbaren Handschriften aus dem Bestand der Nationalbibliothek erstellt worden. „Die Wenzelsbibel ist ein konservatorisch besonders heikles Objekt“, erklärt Irmgard Pfeiffer, eine Mitarbeiterin der NB-Abteilung Digitale Services. Besondere Vorsicht gilt beim Umblättern, um die Goldauflage nicht zu beschädigen.

Hier sind die digitalisierten Bände der Wenzelsbibel abrufbar - search.onb.ac.at 
Über das Projekt der FBe Germanistik und Computerwissenschaften der Uni Salzburg mit der Nationalbibliothek und der Akademie der Wissenschaften - www.plus.ac.at
Bilder: Österreichische Nationalbibliothek / Still aus dem Youtube Video (1)