Ein Tanz „forever“ ins ungewisse Porzellanland
REST DER WELT / STEIRISCHER HERBST
27/09/16 „Wir schaffen das“ ist das handfeste, unmissverständliche Thema, das Intendantin Veronica Kaup-Hasler dem „steirischen herbst“ verordnet hat, der am 23.9. begann. Untertitel: „Über die Verschiebung kultureller Kartographien“. Was wäre prädestinierter für eine Landkarten-Verschiebung als Mahlers „Lied von der Erde“?
Von Reinhard Kriechbaum
Da ist also altchinesische Lyrik, da ist der Jugendstil-Schriftsteller Hans Bethge – dezidiert Nach-Dichter und nicht Übersetzer –, da ist Mahler, der sich mit der Vertonung wenigstens interimistisch rausgeschrieben hat aus dem Zwang, eine „letzte“, eine Neunte Symphonie nämlich zu schreiben. Und nun ist da die Needcompany, tanzende Grenzgänger zwischen den Metiers, die sich den symbolbefrachteten „Abschied“ aus dem „Lied von der Erde“ vorgenommen haben für – ja, für was genau eigentlich? Anregend, wenn eine Reise ins Ungewisse losgeht und die Lokalität beim Angekommen-Sein noch immer nicht eindeutig feststeht...
Es ist ein schwarzweißes Land, in dem Erotik einen mindestens so hohen Stellenwert hat wie die Ornithologie. Die attraktiven Vögelinnen (die Tänzerinnen Mélissa Guérin und Sarah Lutz) sind putzig gekleidet, werden umworben und nähern sich ihrerseits höchst aktiv den beiden Männern. Das prickelt. Der weiß gekleidete Mohamed Toukabri ist Tänzer, der Kollege in Schwarz ist Sänger – ein begnadeter Vokalist! –, der aber auch als Tanzpartner seinen Mann steht. Aber seine zentrale Aufgabe ist, aus der Gesangspartie des „Abschieds“ unbegleitete Passagen zu singen, quasi hereinwehende Melodiefetzen Mahlers, in exponierter Tiefe oft. Sein Gesang mündet intonations-präzis in elektronische Sound-Inseln.
Aber auch Klang und bildende Kunst gehen eine Paarung ein, denn die tanzenden „Vögel“ haben ein fragiles Environnement aus Porzellan: kleine Objekte, vielleicht an Blätter erinnernd, an vielen Fäden und dicht auf Stangen und auf übereinander getürmte Sessel gebunden. Wie durch Geisterhand werden diese Poesie-Objekte bewegt, beginnen sanft zu klimpern wie Windspiele.
Beim Titel „Abschied“ hat man es für diese so poetisch wie letztlich rätselhaft-surreale Produktion (im Teamwork geschaffen von Grace Ellen Barkey und Lot Lemm) nicht belassen: „Forever“ heißt sie, und forever bietet sie wohl Deutungs-Stoff, denn jede Besucherin, jeder Besucher wird diese auf ihre Art so surreale wie faszinierend feine, etwas über einstündige Mahler-Paraphrase, in Graz als Uraufführung präsentiert, auf andere Art auslegen.
Man muss ja nicht alles gleich verstehen, um es trotzdem gut zu finden. Das gilt vielleicht auch für Philipp Gehmacher. Der ist, wie man weiß, ein Tänzer mit Kopf. Vielleicht mit entschieden zu viel Kopf, jedenfalls hält die Körpersprache mit seinem Mitteilungswillen nicht unbedingt mit. Man braucht sich nicht zu genieren, wenn man sich verständnismäßig leicht überfordert fühlt von Gehmacher. „Die Dinge der Welt“ heißt seine One-man-Performance, die am Sonntag Nachmittag in Graz uraufgeführt wurde. Dass sich die Dinge der Welt ändern, das beschäftigt Philipp Gehmacher, daran leidet er. Und er hat sogar die Einsicht, dass er wenig ändern kann daran. Also die kurzen Ärmel des weißen Polo-Shirts hochgekrempelt (eine immer wiederkehrende Bewegung) und mit einem strengen körpersprachlichen Konzept aus einigen wenigen Armbewegungen, die irgendwie das Gesicht einrahmen, hinein ins Multimediale. Ach ja, die installativen Objekte an der Wand: Sie sind so unauffällig, dass man sie gar nicht recht wahr nähme oder für ein Überbleibsel einer früheren Veranstaltung im „Haus der Architektur hielte, wenn nicht der Programmzettel eigens drauf hinwiese, dass sie irgendwie dazu gehörten.