Tristan, der Hasenjäger
REST DER WELT / GRAZ / TRISTAN UND ISOLDE
26/09/16 Sie haben ein noch unbebautes Grundstück am Meer? Wir wüssten die geeignete Architektin. Susanne Gschwender täte sich dafür empfehlen. Ob man in ihren stylischen Haus für anspruchsvolle Yuppies aber Wagners „Tristan“ spielen sollte, ist eher fraglich.
Von Reinhard Kriechbaum
Die blutjunge Verena Stoiber, Trägerin des Grazer „RingAwards 2014“, versucht es jedenfalls. Für das Vorspiel und den ersten Akt ist ihr schon was eingefallen: Wir sehen Menschen, die an ihrer unbewältigten Vergangenheit kauen. Isolde scheint ein Kind in Armen zu wiegen, aber es ist, wie sich zeigt, nichts als ein leeres Stoffbündel. Tristan hockt an der Hausbar, und er verdreht angewidert die Augen: Wie oft hat er Isoldes Vorhaltungen wegen seiner Sendbotentätigkeit als Hochzeitslader für König Marke schon anhören müssen. Immer dieselbe Leier!
Sophie Stoiber erzählt eine psychologisch durchdachte Geschichte, allein das Villenambiente taugt dann nicht dafür. Klug ist es, Tristan und Isolde die ganze Oper hindurch einander nicht nahe kommen zu lassen. Beide sind mit ihrer eigenen Seele hinlänglich beschäftigt. Dass Tristan während des Liebesduetts sich dran macht, einem erlegten Hasen das Fell abzuziehen, ist aber schon recht dick aufgetragen. Auch die viele Erde als Metapher nimmt sich im schicken Haus unfreiwillig komisch aus.
Nicht von Melot bekommt Tristan seine Verwundung, nachdem Marke mit seinem unerwarteten Auftritt den Hasenbraten versalzen hat. Er sticht sich selbst die Augen aus. Im Akt drei – immer noch in der coolen Villa angesiedelt – sehnt sich der blinde Tristan, in Unehren ergraut, nach Isolde, die sich altersmäßig beneidenswert jung gehalten hat. Man bekäme in der Inszenierung von Verena Stoiber eine längere Liste von Ungereimtheiten zusammen. In zwanzig Jahren wird die Jungregisseurin wohl wirklich Tristan-tauglich sein. Jetzt ist sie verheizt worden an einer für sie noch deutlich überdimensionierten Herausforderung.
Musikalisch hat der neue Grazer „Tristan“ einen absoluten Mittelpunkt: die Norddeutsche Sopranistin Gun-Brit Barkmin. Eine Isolde, deren Stimme auf einer beachtlich sonoren Basis sitzt, die sich der Rolle auch an exponiertesten Stellen mit der Präzision einer Liedsängerin nähert, überlegt phrasierend und ultra-präzis in der Artikulation. Man versteht jedes Wort.
An dieser herausragenden Qualität wächst in der Grazer Aufführung Dshamilija Kaiser als Brangäne. Ihr Nachtgesang verströmt Ruhe und begründete sängerische Selbstgewissheit. Zoltán Nyári hat für den Tristan überreich Metall anzubieten, und das braucht er auch, weil Dirk Kaftan am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters lautstärkemäßig gern aus dem Vollen schöpft. Auch wenn die Fangemeinde des Dirigenten am Premierenabend ähnlich viel Power hören ließ – Wagner ist nicht Kaftans Stärke, das kammermusikalisch Gemeinte kommt holzschnitthaft und das Forte so üppig, dass die Sänger immer schauen müssen, wo sie bleiben. Markus Butter als Kurwenal war deswegen oft aufs Stemmen angewiesen und die Intonation wurde mulmig. Unaufgeregt: Guido Jentjens als Marke.