Rossini im Multikulti-Mietshaus

ZÜRICH / IL TURCO IN ITALIA

06/05/19 In unsere Mitte holt Jan Philipp Gloger Gioachino Rossinis Il turco in Italia am Opernhaus Zürich. Mit Witz und leicht erhobenem Zeigefinger hält er uns den Spiegel vor. Die Philharmonia Zürich unter Enrique Mazzola liefert das perfekte Brio dazu.

Von Oliver Schneider

Das Mailänder Publikum war bei der Uraufführung 1814 alles andere als begeistert von Rossinis Türken in Italien. Man warf dem Komponisten vor, seine nur drei Monate vorher uraufgeführte Italiana in Algeri kopiert zu haben. Die Zürcher Neuproduktion entkräftet diese Vorwürfe in jeder Hinsicht, und das liegt zuerst einmal am Dirigenten des Abends. Was Enrique Mazzola mit den Musikerinnen und Musiker der Philharmonia Zürich der Partitur entlockt, ist für sich allein schon einen Besuch der Aufführung wert. Mazzola schenkt der abwechslungsreichen Instrumentierung in jedem noch so kurzen Solo die verdiente Aufmerksamkeit, sodass Rossinis Musik von der Introduktion an wirklich elektrisiert. Ebenso sorgfältig geht Mazzola mit Rhythmik und den fein abgestuften Tempi um. Die Musiker folgen seinen Vorgaben mit hörbarem Spass und konzentriert. Man darf sich jetzt schon auf Mazzolas Dirigate im heurigen Festspielsommer in Bregenz (Rigoletto) und Salzburg (Orphée aux enfers) freuen.

In einem gesichtslosen Vorstadt-Wohnblock lebt der biedere Don Geronio (in idealer Buffomanier Roberto Girolami) mit seiner Frau Fiorilla, die sich im öden Ehealltag nach Abenteuern sehnt und jederzeit für einen Seitensprung zu haben ist. Bisher hatte sie eine Liaison mit dem adretten, jungen Hausmeister Narciso. Doch plötzlich zieht in der Nebenwohnung der noch attraktivere Türke Selim ein – für die Türkin Zaida mit Kopftuch ist die Wohnung leider nicht zu haben –, und sofort findet Fiorilla Gefallen an Selim. Und umgekehrt. Narciso platzt vor Eifersucht, zumal er sich als Vertreter der unteren Mittelschicht als Verlierer sieht und gerne den einfachen Parolen des rechten Politspektrums in puncto Migranten folgt. Edgardo Rocha gestaltet den abservierten Liebhaber stimmlich elegant phrasierend, mit strahlenden Höhen und koloraturgewandt.

Dass sich der gehörnte Ehemann und der Ex-Lover gegen den Konkurrenten aus dem Ausland verbünden, versteht sich, wobei die Geschehnisse noch durch den Künstler Prosdocimo befeuert werden. Bei Rossini eigentlich ein Dichter, wird er bei Jan Philipp Gloger zu einem Filmregisseur, der mit Hilfe der Protagonisten sein neuestes Oeuvre produziert. Wie man es von Castorf & Co. kennt, wird alles mitgedreht (Videodesign: Sami Bill). Mit Pietro Spagnoli hat man für den Künstler einen souveränen Spielmacher an Bord, dem es weder an Spielwitz noch an stilistischer Souveränität mangelt.

Zaida, die gleich mit ihrer vielköpfigen Familie nach Europa gekommen ist (Choreinstudierung: Ernst Raffelsberger), entpuppt sich als Verflossene Selims und damit Fiorillas Rivalin. Sie möchte die Gunst Selims zurückgewinnen. Rebeca Olvera punktet mit einer reichen Palette an Zwischentönen. Schlussendlich finden die „richtigen“ Paare auch zurück zueinander. Und Prosdocimo hat sein Filmmaterial gedreht und das Video geschnitten, in dem er dem Zuschauer mal wieder zeigt, dass Ausgrenzung und Vorurteile Gift für ein gedeihliches Zusammenleben sind.

Vor genau sieben Jahren stand Cecilia Bartoli als Fiorilla in der letzten Neuproduktion des Werks in Zürich auf der Bühne. Ihre Nachfolgerin ist Julie Fuchs, die ohne Druck mit perlenden Koloraturen und elegant ausgesungenen Kantilenen punktet. Ihre Darstellung mag nicht das Feuer einer Bartoli besitzen, dafür gelingt ihr umso glaubwürdiger der plötzliche Wandel von der gelangweilten Ehefrau zur frisch Verliebten. Der Argentinier Nahuel Di Piero ist schließlich der perfekte Selim, beweglich genug für die Rossinische Gesangsakrobatik und doch mit so viel Autorität, dass er Fiorilla dem spießigen Geronio in der eigenen Wohnung abkaufen will. Nathan Haller komplettiert das Ensemble als Zaidas Verwandter.

Ben Baur hat die ideale Bühne für rasche Ortswechsel gebaut: Gespielt wird in drei gleich geschnittenen Wohnungen und vor dem Wohnblock auf einer Drehbühne. Das Publikum jubelte nach im Fluge vergangenen zweidreiviertel Stunden.

Vorstellungen bis 29. Mai – www.opernhaus.ch
Bilder: Opernhaus Zürich / Hans Jörg Michel