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Zwerge im Liebes-Tollhaus

REST DER WELT / LE NOZZE DI FIGARO

02/11/17 Christof Loys neue „Figaro“-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper überzeugt szenisch auf der ganzen Linie. Die ausgesuchte Besetzung sorgt für den nötigen musikalischen Glanz, unterstützt vom Bayerischen Staatsorchester unter Constantinos Carydis.

Von Oliver Schneider

Dieter Dorns Inszenierung von Mozarts „Le nozze di Figaro“ gehörte viele Jahre zu den Säulen des Repertoires der Bayerischen Staatsoper. Letzte Woche wurde sie durch eine Neuinterpretation von Christof Loy ersetzt, die das Zeug hat, zum Klassiker zu werden. Loy und sein Team (Bühne: Johannes Leiacker, Kostüme: Klaus Bruns, Licht: Franck Evin, Dramaturgie: Daniel Menne) haben einen ebenso ästhetischen, aber in seiner ausschließlichen Fokussierung auf die Seelen der Protagonisten erbarmungslosen Zugang freigelegt, der das Meisterwerk von Mozart und Da Ponte als nachtschwarzes Seelenporträt entlarvt. So klar hat man das seit Claus Guths Produktion zur Eröffnung des Hauses für Mozart in Salzburg nicht mehr gesehen. Ihnen geht es nicht – wie Beaumarchais in seiner Vorlage „Der tolle Tag“ – um revolutionäre Sozialkritik, sondern sie untersuchen die Vorstellungen ihrer Protagonisten von der Liebe.

Der mit seinen Gefühlen freigiebige Graf ist in seiner rasenden Eifersucht seinem bis dato freundschaftlich verbundenen Diener Figaro charakterlich gar nicht so unähnlich. Viel Vertrauen hat Susanna in ihren zukünftigen Gatten, wenn sie mit ihm offen über das vermeintliche „ius primae noctis“ des Grafen spricht und ein Stück weit auch die Reize des Grafen zugibt. Ganz anders die Gräfin, die sich fest an die unzertrennliche Liebe klammert und sich in ihrem, sich von den zeitlosen kurzen Kleidern und Anzügen abhebenden, langen Kleid und mit ihrer reservierten Art von allen anderen abhebt. Auch größenmässig überragt Federica Lombardi ihren Gatten und Figaro, was sie über dem Gefühlschaos stehen lassen scheint. Scheint muss man sagen, denn irgendwie übt der Page Cherubino gewisse Reize auf sie aus. Loy zeigt ihn als Transgender, der nach allen Seiten seine Gefühle austeilt und bei beiden Geschlechtern auf Interesse stößt bei der Gräfin, vielleicht bei Susanna, bei Barbarina und bei Basilio.

Johannes Leiacker hat ein für sich sprechendes Bühnenbild geschaffen: Während Figaro und Susanna ihre Kammer in ihrem ersten Duettino noch als Marionetten im Puppentheater ausmessen, hat die Kammer für den Rest des Aktes und als Boudoir der Gräfin eine für Menschen geeignete Größe. Noch können die Protagonisten ihre Gefühle und die von ihnen in Gang gesetzten Intrigen beherrschen. Im Theater auf dem Theater des dritten Aktes mit viel zu hohen Türen und Türgriffen gerät die Gefühlswelt langsam aus den Fugen. In der Gartenszene, die ganz ohne Natur auskommen muss und in der die Protagonisten, verblendet von ihrer Fixation auf sich ihre Partner und Mitspieler nicht mehr erkennen, ist der Türgriff für die Zwergen-Menschen unerreichbar geworden. Ein Happy End kann es nicht geben, auch wenn das „Contessa perdono“ des Grafen dies suggeriert. Der rasende Marschschluss Mozarts sagt etwas anderes.

Christian Gerhaher zeigt auch als nach Liebesabenteuern süchtiger und gleichzeitig in seiner Eifersucht verblendeter Graf, wie tief er in die Seele seiner Protagonisten eintaucht. Federica Lombardi besitzt die nötige Erhabenheit für die Gräfin, stimmlich überzeugt sie erst in ihrem „Dove son i bei momenti“. Olga Kulchynska ist hingegen als Susanna eine ideale Besetzung, Alex Esposito ihr sattelfest erprobter Figaro. Paolo Bordogna gibt einen abgetakelten, aber zu leichtgewichtigen Advokat Bartolo. Anne Sofie von Otter ist mittlerweile zur Marcellina gereift, die statt vom „Ziegenbock und der Ziege“ die textlich viel besser passende „Abendempfindung an Laura“ zur Beruhigung von Figaro singen darf. Manuel Günther als Basilio philosophiert hingegen gekonnt und librettotreu über die geschenkte Eselshaut. Solenn‘ Lavant-Linke als Cherubino, Dean Power als stotternder Don Curzio, Milan Siljanov als ernst zu nehmender Antonio und Anna El-Khashem als aufreizende Barbarina komplettieren das Ensemble adäquat.

Constantinos Carydis führt die bestens vorbereiteten Musikerinnen und Musiker des Staatsorchesters bläserbetonend und mit dem Fuß mal auf dem Gas-, mal auf dem Bremspedal durch den Abend. Das macht Effekt, wenn auch die Entscheidungen nicht immer einsichtig sind. Besonders haben es Carydis die aktbeschließenden Märsche angetan.

Weitere Vorstellungen am 4., 7., 10. November, sowie 15. und 17. Juli 2018 im Rahmen der Münchner Opernfestspiele – www.staatsoper.de
Bilder: Bayerische Staatsoper / Wilfried Hösl

 

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