Das imperiale Antlitz von „Klösterreich“
REISEKULTUR / STIFT KLOSTERNEUBURG
27/08/14 Palast oder Kloster, das ist die Frage. Die beiden mächtigen Kuppeln auf dem markant am südlichen Donauufer „thronenden“ Gebäudekomplex, am Eingang in die Kaiserstadt – das hat etwas Imperiales. Und tatsächlich verschwimmt im Stift Klosterneuburg die Grenze zwischen Weltlichem und Geistlichem.
Von Reinhard Kriechbaum
Dass beides mit einem erheblichen Machtanspruch einhergeht, ist nicht zu übersehen, gerade in Klosterneuburg nicht. Das Stift feiert heuer sein 900-Jahre-Jubiläum. Der Bildband, der aus diesem Anlass erschienen ist, trägt also nicht zu Unrecht den Titel „Wo sich Himmel und Erde begegnen“.
Der Band enthält einen umfassenden Überblick über das Wirken der Chorherren durch die Jahrhunderte und beleuchtet neben den üblichen Highlights wie Kaisertrakt, Stiftskirche oder Schatzkammer auch bislang weniger beachtete Aspekte, wie etwa jenen des Stiftes als Ort des Totengedenkens durch seine zahlreichen Grablegen und Grabmale. Die Kunstsammlungen und das umfangreiche Stiftsarchiv werden genauso intensiv beleuchtet wie beispielsweise auch das Weingut des Stifts.
„Fruchtbetonte“ oder „vollmundige“ Weißweine, Lagenweine in „eleganter“ (weiß) oder „opulenter“ (rot) Ausrichtung … wer das Online-Portal des Klostershops aufschlägt, wird mit der Nase auf die entscheidende weltliche Kompetenz dieses Klosters gestoßen: Immerhin ist das Stift Klosterneuburg der unzweifelhaft älteste Weinproduzent in Österreich und mit 108 ha Weinbaufläche einer der Big Player in diesem Metier. Rund eine halbe Million Flaschen pro Jahr wird ausgeliefert.
„Erstklassige Lagen in Niederösterreich und Wien bieten die beste Voraussetzung für die Erzeugung von Premiumweinen, die erst aufgrund ihres ausgeprägten Lagen- und Sortencharakters Größe beweisen“, erklärt man dazu. Von “Terroir“ sprechen die Winzer und meinen die optimale Lage für die jeweilige Rebe. „Die stiftseigenen Rebflächen verteilen sich auf die berühmtesten Weinbauzentren des Donaulandes, der Thermenregion und Wiens. An jedem dieser vier Standorte (Klosterneuburg, Wien, Gumpoldskirchen, Tattendorf) werden genau jene Rebsorten angebaut, die in dem jeweils vorherrschenden Terroir ihre beste Entsprechung finden.“
Doch zurück zum Buch: Erstmals seit mehr als 30 Jahren werde mit dem neuen Buch das Stift in all seinen vielfältigen Facetten dargestellt, so Stiftskustos Nikolaus Buhlmann und Herausgeber Wolfgang Christian Huber. Die Bilder hat der deutsche Fotograf Janos Stekovics beigesteuert, der aus einem Fundus von 26.000 Aufnahmen schöpfen konnte. Die Texte wurden von ausgewählten Fachleuten verfasst.
Eine historische Ikone: In der Schatzkammer wird der Österreichische Erzherzogshut verwahrt, die „Krone“ des Landes. Erzherzog Maximilian III, hat ihn 1616 anfertigen lassen. Das Juwel sollte das Erzherzogtum Österreich repräsentieren, also das Kernland des Habsburgerreichs. Übrigens hat Maximilian verfügt, dass der Erzherzogshut für immer im Stift Klosterneuburg aufbewahrt werden muss, in nächster Nähe der Reliquien des Heiligen Leopold, des Landespatrons von Österreich. Nur zur Erbhuldigung eines neuen Landesfürsten durch die österreichischen Stände in Wien darf der Hut das Stift auf maximal drei Wochen verlassen - zuletzt geschah dies 1835. Mit einer Wiederholung ist nicht zu rechnen.
Schade um ein Kleinod, das es nicht mehr gibt: Um 1200 wohnte für einige Jahre Herzog Leopold VI. im Stift Klosterneuburg. Er hat mit der „Capella speciosa“ von französischen Bauleuten den ersten gotischen Bau in Österreich errichten lassen. Das wäre also so etwas wie die „Sainte Chapelle“ von Österreich – hätte sie nicht Josef II. 1786 als „überflüssige Kirche“ profanieren lassen und ihren Abbruch befohlen.
So ist der Verduner Altar mit seinen 51 Emailtafeln eines der bedeutendsten Kunstwerke des Mittelalters. Zu den bedeutendsten Beständen des Stiftmuseums zählen die Merkurstatuette von Raphael Donner, eine reiche Sammlung von Elfenbeinschnitzereien und zahlreiche Ansichten des Stifts aus dem 19. und 20. Jahrhundert, darunter vier Frühwerke Egon Schieles. Die kostbarsten Exponate sind allerdings der Babenberger Stammbaum (ein Triptychon) und die Tafelbilder von Rueland Frueauf dem Jüngeren. Mit 240.000 Bänden, über 800 Inkunabeln und mehr als 1200 mittelalterlichen Handschriften ist die Stiftsbibliothek von Klosterneuburg die größte nichtstaatliche Bibliothek in Österreich.
1730 ließ Kaiser Karl VI. die alten Gebäude umbauen, doch der von ihm erträumte „österreichische Escorial“ blieb nur ein Torso – aber imposant, kunstreich und weinselig genug.