Vom neuen und vom alten Glanz

PRAG / WIEDERERÖFFNUNG STAATSOPER

31/01/20 Die Entstehung ähnelt jener von vielen gründerzeitlichen Bühnen im Gebiet des alten Österreich. In Prag, in der „goldenen Stadt“, ist der Theaterbau von Helmer und Fellner – von wem sonst? – noch ein wenig prächtiger ausgefallen als in anderen Hauptstädten der Monarchie.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Eröffnung des tschechischen Nationaltheaters im Jahr 1883 weckte bei der deutschsprachigen Prager Bevölkerung den Wunsch nach einer eigenen Opernbühne. Man gründete einen Theaterverein und machte sich ans Sammeln von Geldern. Es fand sich ein Grundstück in der Prager Neustadt, nahe dem Hauptbahnhof und man beauftragte Hermann Helmer und Ferdinand Fellner mit der Planung. Zwischen Reichenberg (Liberec) und Rijeka, Karlsbad und Temesvar, Varasdin und Budapest hatten Helmer und Fellner bereits Theater errichtet. Das Stadttheater in Brünn (1842) war das erste mit elektrischer Beleuchtung. Der Auftrag aus Prag war der vierzehnte.

Die beiden Wiener Architekten, spezialisiert auch (aber nicht nur) auf Theaterbauten, waren imstande, in kürzester Zeit ein funktionales Gebäude dieser Dimension mit etwas über tausend Sitzplätn zu bauen. Überhaupt kein Problem offenbar für den florierenden Betrieb mit bis zu zwanzig angestellten Planern, so gut wie zeitgleich mit der riesigen Oper in Odessa und dem Wiener Ronacher, das im Stil der Renaissance (Fassade) und des Neorokoko (Innenraum) gehaltene Neue deutsche Theater anzugehen.

Neues deutsches Theater hieß das Haus in Prag von seiner Eröffnung am 5. Jänner 1888 bis 1938. Nach kriegsende hieß es kurze Zeit Divadlo 5. května (Theater des 5. Mai), von 1949 bis 1992 Smetanovo divadlo (Smetana-Theater). Seither firmiert es als Státní opera (Staatsoper Prag). In verwaltungs- und bühnentechnischen und auch einigen künstlerischen Belangen (Ballett) ist es seit geraumer Zeit mit dem Narodni Divadlo (dem tschechischen Nationaltheater) fusioniert.

Nicht wie geplant 32, sondern knapp 51 Millionen Euro verschlang die nun abgeschlossene Sanierung des Hauses. Etwas ganz Besonderes ist die Rekonstruktion des im Zweiten Weltkrieg verloren gegangenen Eisernen Vorhangs, bemalt von Eduard Veith. Von Veith, einem der emsigen Ausstattungsmaler der Epoche, stammen unter anderem Deckengemälde im Wiener Volkstheater, für die Schwimmhalle des Wiener Dianabades oder das Deckengemälde im Maria-Theresien-Saal der Hofburg, aber auch in der Berliner Staatsoper Unter den Linden das Deckengemälde „Einzug der heiteren Musen durch das Brandenburger Tor“. In vielen Helmer&Fellner-Theater hat Veith zur malerischen Ausstattung beigetragen.

Was passiert nun in der wiedereröffneten Prager Staatsoper? Der deutsche Dirigent Karl-Heinz Steffens ist seit August vorigen Jahres unter Operndirektor Per Boye Hansen Musikdirektor des Hauses. Opern von Verdi, Puccini und Wagner sollen wie bisher das Kernrepertoire ausmachen, aber auch zeitgenössische Stücke will man produzieren.

Interessant ist das auf vier Jahre angelegten Projekt mit dem Titel Musica Non Grata. Damit erinnert man an die in der NS-Zeit weitgehend vernichtete blühende Musiktradition der zwischenkriegszeit 1938 in Prag. Dies in Koproduktion mit anderen Bühnen in der Moldaustadt, dem Nationaltheater, der Nová Scéna und dem historischen Ständetheater. Letzteres war Ort der Uraufführung von Mozarts Don Giovanni und wird heute auch als Spielstätte für zeitgenössische Kammeropern geschätzt.

Unterstützt durch die Tschechische Regierung und das Deutsche Auswärtige Amt möchte Musica Non Grata Werke rehabilitieren, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Prag aus ihren Siegeszug um die Welt antraten und später aus politischem Gründen mit Gewalt zum Verstummen gebracht wurden. So wird am 28. Mai 2020 beispielsweise Jaromir Weinbergers Svanda Dudak (Schwanda der Dudelsackpfeifer) Premiere haben.

Alexander von Zemlinsky war längere Zeit Musikdirektor am Neuen deutschen Theater. Er leitete hier 1924 die Uraufführung von Arnold Schönbergs Erwartung. Exil oder KZ: Ernst Krenek, Franz Schreker, Hans Krasa, der in Brünn geborene Erich Wolfgang Korngold, Ervin Schulhoff, Pavel Haas oder Viktor Ullmann sind Komponisten, von denen in den nächsten vier Jahren Werke aufgeführt werden.

Bemerkenswert im Projekt Musica Non Grata ist auch der Fokus auf Komponistinnen der Epoche: Frauen wie Vitezslava Kapralova, Emmy Destinn, Julie Reisserova oder die schottisch-tschechische Komponistin Geraldine Mucha traten in den 1920er und frühen 1930er Jahren aus dem Schatten ihrer männlichen Kollegen.

Sämtliche Aufführungen des Opern- und Konzertschwerpunkts „Musica Non Grata“ sollen digital durch Streaming zugänglich gemacht und zum Teil auf DVD, CD und in Online-Archiven verfügbar sein.

www.narodni-divadlo.cz
Bilder: Narodni Divadlo Prag (4); Wikimedia (1)