Verliebtheit. Verwandlung. Verzweiflung
PFINGSTFESTSPIELE / HOTEL METAMORPHOSIS
07/06/25 In einem Hotelzimmer kann alles passieren. Liebe oder Tod. Verzweiflung oder Erfüllung. Schlimmsten oder besten Falls ist das Bett zerwühlt. Der Roomservice, professionell unbeteiligt, glättet Linnen, schlichtet Pölster – und macht die Bühne frei für das nächste Drama.
Von Heidemarie Klabcher
In einem gesichtslosen Luxuszimmer im Hotel Metamorphosis spielen sich die Episoden aus Ovids Verwandlungen ab. Pygmalion verliebt sich in sein eigenes Kunstwerk. Arachne, die Weberin, fordert Minerva heraus. Myrrha verführt ihren eigenen Vater. Narcissus und Echo scheitern an sich selbst und aneinander. Eurydice und Orpheus verschwinden endgültig in der Unterwelt. „Ein Pasticcio mit Musik von Antonio Vivaldi in zwei Akten basierend auf Texten von Ovid in der Übersetzung von Hermann Heiser und Gedichten von Rainer Maria Rilke in der Fassung von Barrie Kosky und Olaf A. Schmitt“ feierte am Freitag (6.6.) im Haus für Mozart bejubelte Premiere.
Vivaldi hat zwar haufenweise komplette Opern geschrieben, hatte aber nicht „den dramaturgischen Instinkt“ etwa eines Georg Friedrich Händel. „Eine ganze Vivaldi-Oper kann die Spannung nur schwer über mehrere Stunden aufrechterhalten“, so Barrie Kosky, von dem Regie und Konzept zum vorliegenden Vivaldi-Ovid-Pasticcio stammen. Dieses ist, kurz gefasst vorausgeschickt, grundsätzlich klug erdacht, betörend musiziert und überwältigend gesungen in allen Partien.
Mit noch mehr „dramaturgischem Gespür“ hätte Kosky in den einzelnen Episoden die eine oder andere Arie eingespart. Mangels durchgehend sich aufbauender Handlung ist Hotel Metamorphosis genau das, was es sein soll. Ein best off. Ein Wunschkonzert, das bei vokaler wie instrumentaler Vollendung der Wiedergabe, keine Wünsche offen lässt. Aber 45 Nummern aus unterschschiedlichsten Werken, die Gesangstexte kaum einmal im Zusammenhang mit der jeweiligen Szene, können ermüden. Dass die Schauspielerin Angela Winkler, Stimme maximal verstärkt, als Orpheus erklärenden Text in die delikaten Nachspiele hinein-lispelt stört mehr, als dass es einen verbindenden Bogen herstellt. Umso päziser ist die Regie von Barrie Kosky innerhalb der Episoden. Die Intendantin der Pfingstfestspiele hat als Eurydice eine ganz große, bewegende Szene à la Bartoli zum Finale. In der ersten Geschichte gibt sie als Weberin Arachne einen alternden Instagram-Star, der von einer deutlich besser „vernetzten“ Influencerin demontiert wird. „Netz“ und „weben“ und „web“ und ein bunter Kabelsalat bei den Laptops schaffen, ein wenig gewollt aber doch recht witzig, Quer-Verbindungen über Jahrtausende.
Die Mezzosopranistin Nadezhda Karyazina – überwältigende Stimme bei Charisma und Ausstrahlung der großen Hollywood-Diven der Fünfziger und Sechziger – ist hier in der Arachne-Szene die Göttin Minerva. Diese hat sich von der sterblichen Meister-Weberin herausgefordert gefühlt und diese zur Strafe in eine Spinne verwandelt. Nadezhda Karyazina macht sich auch als Nutrice in der Myrrha-Szene (mit einer Arie aus Orlando) und als Juno in der Narcissus-Echo-Szene (mit einer Arie aus Il Giustino) mit ihrer Präsenz und Strahlkraft die Bühne Untertan.
Nix für Arachonophobiker sind die „Netz“-Videos von rocafilm. Beängstigend fast die Verwandlungs-Videos zwischen Mensch und Tier im Wettkampf zwischen Minvera und Arachne. Rocafilm, Carmen Zimmermann und Roland Horvath, schaffen mit ihren Videos Farbe und Atmosphäre im Hotelzimmer jeweils innerhalb der fünf Episoden.
Die Videos schaffen aber auch eine dramaturgische Verbindung zwischen den Episoden: Die jeweiligen Gemälde antiker Motive im romantischen Stil über dem Hotelbett (Bühne Michael Levine) werden auf den transparenten Zwischenakt-Vorhang projiziert, wo sie sich auflösen und verwehen ins Überzeitliche und Abstrakte. Die Projektionen dominieren wohl die Szene, sind aber immer am Puls der Story. Auch gehen sie als eigenständige Kunstwerke durch.
Die Mezzosopranistin Lea Desandre ist zunächst die meisterhaft zur Leblosigkeit erstarrte Statua in der Pygmalion-Szene. Als Myrrha gibt sie jenes junge Mädchen, das seinen Vater begehrt und verführt, ob dieser Schuld Selbstmord begehen will und, in einen Baum verwandelt, unsterblich wird. Unsterblich wurde auch die Nymphe Echo. Diese kann, von den Göttern verflucht, immer nur die letzen Worte ihres Gegenübers wiederholen. Sie liebt Narcissus, aber dieser ist bekanntlich nur mit sich selbst beschäftigt.
Als Myrrha wie als Echo vermittelt Lea Desandre die tragische Kraft zerstörerischer Erotik. Einmal mit der Anmutung der Tragödin in der Stimme, die an ihrer Schuld verzweifelt. Dann wieder fröhlich kichernd, mit hochvirtuoser und atemberaubender Leichtigkeit. Naive Fröhlichkeit zum Mit-Weinen. Erwähnt seien exemplarisch für den Pasticcio-Charakter der Produktion die Arie Non ti lusinghi la crudeltade aus der Oper Tito Manlio, die Arie Scenderò, volerò, griderò aus Ercole sul Termodonte oder im Echo-Akt die Bravour-Arie Zeffiretti che sussurrate ebenfalls aus Ercole sul Terdomonte. Lea Desandres Gegenüber sind Alessio Marchini als Myrrhas Vater in einer stummen Rolle und, umso beredter, Philippe Jaroussky als Pygmalion und Narcissus. Jaroussky betört „naturgemäß“ mit technischer Virtuosität, strahlendem Stimmglanz und emotionaler Tiefe.
All diese vielschtigen, in Bild und Stimmklang erzeugten und innerhalb der Episoden überzeugend aufgebauten Emotionen basieren auf dem wundersamen, so delikaten wie herausforderndem Sound von Les Musiciens du Prince – Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano. Dramatischer, mitreißender und zugleich eleganter kann man sich Alte Musik nicht wünschen. Jedes Solo gehörte einzeln gerühmt. Vor den Vorhang Thibault Noally Violine/Viola d’amore, Nicolas Mazzoleni Violine, Muriel Quistad Mandoline (überirdisch!!!), Jean-Marc Goujon Flöte, Pier Luigi Fabretti Oboe, Francesco Spendolini Chalumeau, Benny Aghassi Fagott, Miguel Rincón Rodriguez Theorbe und Elisabeth Seitz Salterio.
Der klein besetzte Chor, Il Canto di Orfeo, überzeugt mit stimmlicher Präsenz und darstellerischer Spielkraft, gemeinsam mit den Statisten. Geradezu ein Energie-Kraftwerk für die gesamte Produktion sind die Tänzerinnen und Tänzer in den teils grellen Kostümen Klaus Bruns' in der mitreißenden Choreografie von Otto Pichler.
Hotel Metamorphosis – eine weitere Aufführung am Sonntag (8.6.) um 15 Uhr – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SFS / Monika Rittershaus