asdf
 

Eine Pianistin in Hitlers „geschenkter Stadt“

HINTERGRUND / THERESIENSTADT / ALICE HERZ-SOMMER

25/02/14 Es gibt nicht mehr viele Menschen, die aus dem Leben in den KZs erzählen können. Schon gar nicht vom Kulturleben, das es ja auch gab. Die „KZ-Komponisten“ – etwa Viktor Ullmann oder Hans Krása – haben eine gewisse Renaissance erlebt. Der Tod der Pianistin Alice Herz-Sommer erinnert an die vielen trotzdem namenlos Gebliebenen dieser dunklen Ära.

Von Reinhard Kriechbaum

086Alice Herz-Sommer, die dieser Tage im Alter von 110 Jahren in London gestorben ist, war eine dieser Musikerinnen. Sie gehörte zum innersten Kreis jener Künstlerinnen und Künstler, die im KZ Theresienstadt einen Kulturbetrieb aufrecht erhielten, den die Nationalsozialisten schamlos für ihre Propaganda ausnutzten.

„Theresienstadt sieht aus wie ein Kurort“ heißt ein Dokumentarfilm von Nadja Seelich aus dem Jahr 1997. Er enthält viel Originalmaterial eines Propagandafilms, der den Titel  trug „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Mit diesem Streifen wollte Hitlers Propaganda im Ausland Eindruck schinden und ausländische Besucher davon ablenken, dass anderswo die Gaskammern warteten auf jene, die hier angeblich so glücklich und zufrieden lebten.

Theresienstadt war ordentlich herausgeputzt, ein Vorzeige-KZ eben. Die Garnisons- und Festungsstadt nahe Leitmeritz an der Elbe war jener Ort, den die Nazis gerne herzeigten, wenn Besuch aus dem Ausland kam. „Wir mussten spielen, weil dreimal im Jahr das Rote Kreuz kam, da wollten die Deutschen zeigen, dass es den Juden in Theresienstadt sehr gut geht“, erinnerte sich Alice Herz-Sommer.

Zwischen 1941 und 1945 waren hier etwa 32.000 tschechische Juden und Oppositionelle eingesperrt. Ein großer Teil wurde dann in andere Lager – etwa nach Auschwitz – gebracht und dort getötet. „Alters-Ghetto“ nannten die Nazis Theresienstadt heuchlerisch, in Wirklichkeit war es ein Durchgangslager. Von hier weg ging es für einen Großteil der hier Internierten in die Tötungs-KZs wie Auschwitz.

087Theresienstadt und das jüdische Musikleben: Die SS ließ ein von den Lagerhäftlingen selbst organisiertes Kulturleben zu, eben um der Öffentlichkeit ein vermeintlich „normales“ Leben vorzusgaukeln. Wie zufrieden waren doch die hier lebenden Juden…

Alice Herz-Sommer war also eine, die in dieses jüdische KZ-Musikleben integriert war. Mit Viktor Ullmann, dem Komponisten der Oper „Der Kaiser von Atlantis“, war sie schon in ihrer Jugend in Prag bestbekannt. In ihrem Elternhaus war Sigmund Freud ebenso zu Besuch wie die Schriftsteller Franz Kafka und Max Brod. Auch zur Familie von Gustav Mahler gab es Verbindungen.

Manchen Musikern und Komponisten, denen damals eigentlich eine vielversprechende Karriere offen gestanden wäre, begegnete Alice Herz-Sommer – damals immerhin selbst schon eine Anfangs-Vierzigerin – in Theresienstadt wieder. Der Sohn Raphael Sommer (aus ihm wurde ein bekannter Cellist) wirkte gut fünfzig Mal mit in der Kinderoper „Brundibar“ von Hans Krása mit. Dieser Komponist ist ebenso wie sein Kollege Viktor Ullmann dann in Auschwitz umgekommen. Krásas „Brundibar“ war eines jener Stücke, das explizit vorkommt im Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Dabei durfte Krása nicht einmal mehr die Partitur des 1941 in einem Prager Kinderheim uraufgeführten Stücks verwenden. Er musste sie im KZ aus dem Gedächtnis rekonstruieren.

Die ebenfalls in im KZ umgekommenen Komponisten Pavel Haas, Gideon Klein gehörten auch zum Musikerkreis in Theresienstadt.Die "Ghetto Swingers" war die lagerinterne Combo. In einem solchen Umfeld jedenfalls musizierte Alice Herz-Sommer in Theresienstadt. Sie war vor der Internierung eine über Böhmen hinaus bekannte Pianistin. Bis zu vier Konzerte gab es pro Tag im Lager Theresienstadt. Alle halbe Stunde wechselten sich die Konzertpianisten des Lagers ab, um in einem Zimmer auf dem Piano des Lagers zu üben, erinnerte sich Alice Herz-Sommer in einem Interview, das sie der „Süddeutschen Zeitung“ gab. „Wir haben alles auswendig gespielt. Die Etüden, die Beethoven-Sonaten, Schubert, alles. Im Rathaus-Saal für 150 Leute, alte, verzweifelte, kranke, verhungerte Menschen.“

Für Theresienstadt – auf tschechisch Terezin - endete die dunkle Geschichte übrigens nicht mit Kriegsende. Da wurde nämlich von den Tschechen dort das „Internierungslager der Kleinen Festung Theresienstadt“ eingerichtet, und nun waren Deutsche aus Böhmen und Mähren, die abgeschoben werden sollten, die Insaßen. Von den bis 1948 mehr als 3.500 Personen kamen rund fünfhundert um, die meisten aus gesundheitlichen Gründen.

Mit der 109-Jährigen hat der britische Filmemacher Malcolm Clarke den Film „The Lady in Number 6“ gedreht – als Dokumentar-Kurzfilm ist er für den Oscar nominiert. Gut möglich also, dass der Name Alice Herz-Sommer demnächst – am kommenden Sonntag, wenn die Oscars vergeben werden – nochmal in den Zeitungen auftaucht.

Der Film-Clip auf Youtube
Ausschnitte aus dem Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ (auch „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ auf Youtube
Bilder: nickreedent.com

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014