Kämpfen um den Swing im Barock

HINTERGRUND / BLÄSERPHILHARMONIE / DOROTHEE OBERLINGER

01/04/11 „Eine Kette von Hemiolen“, sagt Dorothee Oberlinger. So einfach ist das. Schon ist Leben im Rhythmus. Für jemanden, der viel Barockmusik spielt, eine klare Sache. Aber für andere Musiker? In der Probenpause erklärt eine Oboistin ihrer Pultkollegin aus dem fernen Osten, was eine Hemiole eigentlich ist, wie sich die Betonungsverhältnisse verschieben im Dreiertakt.

Von Reinhard Kriechbaum

altDorothee Oberlinger, eine der führenden Blockflötistinnen unserer Zeit, Professorin an der Universität Mozarteum und hier auch Leiterin des Instituts für Alte Musik, probt mit der Bläserphilharmonie Salzburg. Morgen, Samstag (2.4.), findet das Konzert im Großen Saal des Mozarteums statt. „Mein erster Gedanke zur Idee, die Bläserphilharmonie mal zu dirigieren war: Ein barockes Bläserprogramm? Klar, wir machen die Feuerwerksmusik! Aber was noch?“ Ihr sei es wichtig gewesen, Musik aus Salzburg – „besser gesagt von Salzburger Komponisten“ – einzubeziehen, etwa von Muffat, erklärt Dorothee Oberlinger. „Deshalb führt unser Reiseweg von Salzburg nach Venedig (dem Geburtszentrum der virtuosen Instrumentalmusik). Und wir landen mit Händel ganz zum Schluss in London.“

altWas wundert Bläser eigentlich am meisten, wenn sie einer Originaltönerin arbeiten? „Die symphonische Musik malt, die barocke Musik spricht - mit dieser  Feststellung hat es Nikolaus Harnoncourt irgendwann mal auf den Punkt gebracht.“ Barockmusik sei rhetorisch: „Da gibt es zum einen eine klare Phonetik - unterschiedliche Vokale, Konsonanten (sehr wichtig!) - Hebungen und Senkungen. Und semantisch gesehen einen gegliederten Redeaufbau.“

Dynamische Anweisungen und andere Arten von Spielanweisungen zum größten Teil. „Was man optisch vor sich hat, ist nicht das, was man hört.“ Ein Beispiel: „Die Bläser müssen lernen zu beurteilen, wenn sie eine lange Note sehen, was mit ihr passiert. Man spielt die lange Note nicht bis zum bitteren Ende, sondern lüftet sie.“

Worum muss man kämpfen, wenn man ein solches Programm einstudiert? „Zum Beispiel um den Swing! Die Leute haben die alten Tänze ja nicht mehr in den Beinen. Und wissen nicht, wie schlimm es für einen Tänzer ist, wenn das Instrumentalensemble bei jeder Kadenz ein schönes Ritardando macht - das nimmt den Schwung. Es gilt, den ‚steady beat‘ in sich zu tragen und darüber frei zu agieren.“

„Heute trägt die barocke Dame das Schönheitspflaster mal hier und morgen da - je nach Stimmung“: So anschaulich erklärt Dorothee Oberlinger ihren Schützlingen, dass es wichtig ist, Wiederholungen zu verzieren. „Und man muss sich seiner Funktion im Ensemble bewusst sein. Die Spieler der Basslinie sind Fundament, Richtungsgeber, eigentlich Chef im Ring! Die Entwicklung eines klaren Betonungs - und Dynamikschemas, passend zum (harmonischen) Spannungsgefüge ist ‚Grund und Ursach‘ von allem.“

Als nächstes Werk in der Probe ist eine Sinfonia concertante von Johann Melchior Molter angesagt. Ein Stück, das schon zur Mannheimer Schule, also zur Frühklassik tendiert. Oh je, der Solotrompeter hat von dem Termin nichts gewusst! Also übernimmt Dorothee Oberlinger mit der Blockflöte spontan seinen Part. Wenn man hört, wie brav sich Oboen, Fagott und Naturhorn durch die vermeintlich geradlinig-überschaubaren Noten hanteln bei dieser ersten Verständigungsprobe, wie quicklebendig Oberlinger die Solostimme artikuliert: Da versteht man, wie wichtig es ist, dass junge Musiker heutzutage sich auch ehzeitig einlesen in die alte Literatur und ihre Stilmerkmale.

„Festliche Bläsermusik des Barock von Salzburg über Venedig nach London“. Bläserphilharmonie Salzburg, Leitung Dorothee Oberlinger. Samstag, 2.4., 19.30 Uhr, Großer Saal des Mozarteums. - http://www.moz.ac.at/veranstaltungen
Bilder: dpk-krie