Heaven, I'm in heaven
BACHGESELLSCHAFT / VOCES8
28/04/25 Wenn man dem Internet trauen darf, dann haben sich bisher an die 440 Interpreten am Ohrwurm Cheek to Cheek abgearbeitet, den Fred Astaire und Ginger Rogers 1935 in die Welt, in die Hit-Listen und auch gleich mal auf die Oscar-Nominierungsliste für den besten Filmsong gebracht haben. Einen Ehrenplatz der Nachfolger verdient wohl Voces8, am Sonntag (27.4.) zu Gast bei der Bachgesesellschaft.
Von Reinhard Kriechbaum
Standing ovations sind nicht so häufig bei der Bachgesellschaft, deren Publikum sich aber, wie man im dicht besetzten Großen Saal des Mozarteums hat erleben können, liebend gerne von Klassikern der amerikanischen Unterhaltungsmusik von den Stühlen reißen lässt. Voces8, dieses famose englische Vokalensemble, ist gerade auf Jubiläumstour. Es besteht seit zwanzig Jahren. Da dürfen Knüller-Nummern nicht fehlen, wobei die „Hits“ in diesem Fall ja irgendwo im 15. Jahrhundert einsetzen – Josquins Ave Maria, Virgo Serena ist chartverdächtig – und eben bis in den Pop herauf reichen.
Wer täte erwarten, dass das Nachtlied von Max Reger, ein Musik-Vehikel mit harmonisch reichlich überladener Tonnage, nicht nur träge dahinrollen, sondern ins Schwerelose abheben kann? Dass es sich so blendend verträgt mit Mendelssohns ohrenschmeichelnder Motette Denn er hat seinen Engeln befohlen in unmitelbarer Programm-Nachbarschaft? Aber ja, da geht’s ja auch himmelwärts, die Engel tun alles für ein sanftes Weiterkommen, ohne dass ein Fuß von unsereinem sich an einen Stein stößt...
Der Weg hat also rasch himmelwärts geführt. In den siebenden Himmel, um genau zu sein. Heaven, I'm in heaven heißt es in Cheek to Cheek. Was an diesen acht Himmelsstimmen so einnimmt ist, dass sie sich so wunderbar jeder Stimmung, jedem musikalischen Charisma anpassen können. Da sind eigentlich acht Fred Astaires (unterschiedlichen Geschlechts) auf dem Podium. Auch gleich mehrere Frank Sinatras. Verblüffemd, wie dieses Ensemble, das zu einem ur-homogenen Klang zusammenwachsen kann, sich im nächsten Moment aufsplittet in einprägsame sängerische Individualitäten.
Das schaffen sie ja auch in der Alten Musik, die aus ihren Kehlen so sagenhaft neu klingt. O clap Your Hands ist eine Psalmvertonung von Orlando Gibbons, und da hört man nicht nur das Händeklatschen, sondern manch anderen exaltierten Jubel einer Volksmenge, den Voces8 denkbar plastisch und turbulent in den Saal schleudert. Sogleich wird der Hebel umgelegt, mit allergrößter Ruhe Josquins Marienlob (der Abschnitt Ave vera virginitas daraus ist gängiges Kirchenchor-Repertoire) verinnerlicht. Und dem setzen sie mit Jean Moutons Nesciens Mater noch eins drauf: ein minutenlanges Klang-Kontinuum aus vokalen Bögen schier ohne Ende. Wo nehmen sie bloß den Atem dafür her?
Im Stil-Kunterbunt darf man auch darüber nachdenken, dass nicht erst die Bigbands Blue notes „erfunden“ haben. Was John Sheppard im 16. Jahrhundert in seinen beiden Libera nos-Vertonungen an harmonischen Drehungen und Wendungen aufbietet, steht Cole Porters I get a kick out of You in nichts nach. Dieser Nummer haben Voces8 im Sinne von Fred Ebb & John Kander übrigens einen Kick in Richtung New York gegeben und auch da alle Register auch des solistischen Broadway-Charmes entfaltet.
Die versprochenen zwanzig Nummern zum 20-Jahre-Jubiläum sind es dann nicht ganz geworden, weil das Ensemble mit leicht überschießendem britischen Humor auch mehr als ausgiebig moderiert. Da hätte man sich statt gerne noch die eine oder andere Musiknummer zwischen Renaissance und Broadway-Entertainment gewünscht. Aber Voces8 ist ja ein breit aufgestelltes Musik-Unternehmen, nicht erst seit den Covid-Lockdowns ist man auf sozialen Medien unterwegs. Tipp des Rezensenten: Josef Gabriel Rheinbergers Abendlied googeln, die Briten halten da eine Referenzaufnahme bereit...
Bild: voces8.com