Wo viel Schatten ist...
CAMERATA / DOROTHEE OBERLINGER
13/01/25 Am Ende des Konzerts ist der Nachtwächter, den Heinrich Ignaz Franz Biber in einer Serenade durchs nächtliche Salzburg geschickt hat, noch einmal aufgetaucht. Er hat einen Musiker nach dem anderen hinaus geschickt aus dem Großen Saal des Mozarteums. Zeit, schlafen zu gehen, nach einem Programm voller mehrheitlich barocker Schmankerln zum Thema Ombra e luce.
Von Reinhard Kriechbaum
Es hat eben nicht nur Haydn eine Abschieds-Symphonie geschrieben. Luigi Boccherini ahmte in seiner Musica notturna delle strade di Madrid einen Zapfenstreich nach, der nach und nach ausdünnt. Dieser Satz war eine nette Schlusspointe in dem Programm, das mit einem wohlbekannten Knüller der französischen Barockmusik begonnen hat: Mit dem vielleicht ersten Cluster in der Musikgeschichte, mit dem Jean-Féry Rebel in der Suite Les Èlémens das Chaos vor Beginn der Schöpfung beschrieben hat. Schon wieder ein Anknüpfungspunkt zu Haydn...
Die Zeiten der Dogmatik innerhalb der Szene Alter Musik sind wohl vorbei. Die Blockflötistin Dorothee Oberlinger hält es so wie manch andere ihrer Kolleginnen und Kollegen und musiziert unterdessen ohne weiteres auch mit Ensembles, die auf modernen Instrumenten spielen. So wie beispielsweise ihr Senior-Kollege, der Barockgeiger Reinhard Goebel, der unlängst in einem Interview im Fachmagazin Concerto kundgetan hat, wie viel entscheidender der Geist des Musizierens ist als das Tonwerkzeug selbst. Die beiden verbindet übrigens etwas: Sie haben seit langer Zeit Professuren an der Universität Mozarteum inne (Oberlinger seit über zwanzig Jahren) – aber kein Mensch kommt auf die Idee, sie ins lokale Konzertgeschehen der Stadt einzubinden. Schade um ungenutzte Ressourcen.
Schön also, dass am vergangenen Wochenende (10./12.1.) die Camerata Salzburg Dorothee Oberlinger zu einem anregenden Projekt eingeladen hat. Viele musikalische Nachtgespinste! Aber wo viel Schatten ist, ist bekanntlich auch viel Licht. Wenn Dorothee Oberlinger nach Noten von Jacob van Eyck die Nachtigall singen lässt, assistiert von der Kollegin Eunsol Lee, die feine Echoeffekte zulieferte, ist die Taghelle in den Ecksätzen von Vivaldis Konzert für Sopranino-Blockflöte nicht weit. Da wurde auch das mehrmals zurückgenommene Licht im Saal wieder aufgedreht. Toll, wie virtuos, in den Verzierungen mutig und erfindungsreich man diesen Barock-Gassenhauer aufpeppen kann. So manche Pointe steht nicht in den Noten.
In einem Tag-Nacht-Programm durfte natürlich ein weiteres höchst populäres Vivaldi-Konzert nicht fehlen, La notte. Das war eingebettet in ein kurzes Stück von John Cage (Dream) in einer Version für Laute und Violoncello und in ein mit vielen Geräuscheffekten, aber auch Folklore-Anklängen spielendes Stück der griechischen Zeitgenössin Konstantia Gourzi. Sie hat das Stück Saâ für Dorothee Oberlinger und ein Originalklang-Ensemble geschrieben. Aber das konnte die kleine, ambitionierte Camerata-Crew natürlich genau so gut umsetzen.
Der stimmlich famos wandelbare Bass Sreten Manojlović ist nicht nur als Biber'scher Nachtwächter in Erscheinung getreten. Das ungeschlachte Liebeswerben um die Nymphe Galatea und den zwangsläufig sich einstellenden Frust des Riesen Polyphem hat er ebenso anschaulich gemacht wie Purcells Arie des ganz und gar auftau-unwilligen Frostgeistst aus Purcells King Arthur. Das eisige Klima fühlt sich um deutliche Minusgrade kälter an, wenn die Geigen keine Darmsaiten aufgezogen haben.
Von einigen Schmankerln mehr könnte man erzählen. Dunkelheit und Licht in anregendem Wechsel, manchmal gar ein wenig widerborstig, jedenfalls assoziativ anregend ausgewählt. Die Gewichtungen sind natürlich anders, wenn Blockflöten mit modernen Instrumenten „konkurrieren“, aber es zeigte sich, dass auch tiefere Flöten sich gut durchsetzen. Virtuosität und Stilwissen von Dorothee Oberlinger, deren Dialoge mit der Camerata sich wie von selbst zu fügen schienen, sind natürlich eine Klasse für sich.
Bilder: dpk-krie