Phantasmagorie erhabener Teufeleien

MOZARTS TODESTAG / MOZART REQUIEM

06/12/22 Nein, nicht Krampuslauf! Trotz alljährlichem Ritual: Dieses Mozart-Requiem war ein Gipfel dramatischen Konzertwesens und packend wie am ersten Tag. Camerata und Bachchor Salzburg begeitsterten unter Anja Bihlmaier zu Mozarts Todestag im Großen Saal des Mozarteums.

Von Erhard Petzel

Es stand diesmal eine zeitgenösische Ouvertüre aus dem Beethoven-Jahr 2020 voran: Anna Clynes Stride für Streichorchester. Die Komponistin immt Themenköpfe aus der Grande Sonate Pathétique c-Moll op. 13 und verarbeitet sie im breiten Klangbett der Streicher. Clyne gelingt damit ein spannendes Stück Musik, das die exaltierte Persönlichkeit Beethovens im musikalischen Ausdruck einzufangen und mit zeitgenössischer Klangsprache in Einklang zu bringen und zu steigern versteht. Ein durchaus unerwartet gelungener Vorgang, in dem die klassischen Strukturen den modernen Halt und Anker sind, die modernen den emotionalen Aufbruch in das Zeitgenössische überzeugend moderieren und beide elegant miteinander verschmelzen und sich aus einander entwickeln. Dem aufbrausenden Charakter des Gestus Beethovens kann auch eine epische Sequenz folgen, die als Soundtrack einen Western zum Ereignis machte, oder ein inniger Choral aus Klangflächen.

Dann füllt die Camerata Salzburg ihre Reihen für das Mozart-Requiem auf, der Bachchor bringt sich in Position und Anja Bihlmaier hat die Solisten im Schlepptau. Ein erlesenes Quartett, das den Glanz des Abends überhöhen wird. Julie Fuchs stimmt mit weichem und rundem Sopran aus der Umgebung des Chores Requiems-Bitte des kündenden Engels Gotteslob wie vor der Schlussfuge das ewige Licht an. Nahuel di Pierro gibt der Posaune des Jüngsten Gerichts mit sonorem Bass ihre unerschütterliche Präsenz. Erschütternd scharf schmettert Sunnyboy Dladla das Mors herein, um sodann seinen strahlenden Tenor aufblühen zu lassen. Emily D’Angelo setzt mit so kräftiger wie voll tönender Stimme den Richter ein, gemeinsam wird das Quartett sein armes Sündertum in wohl abgestimmter Harmonie vorbringen. Wenn auch mehrheitlich mit den elegischen und verheißenden Partien betraut, spielt das Solistenquartett in seinen unterschiedlichen Formationen große Oper.

Dirigentin Bihlmaier unterstützt diesen Eindruck in ihrer entschlossen durchgeführten Abfolge der Messteile und deren dramatischer Ausgestaltung.

Sie gibt dezitierte Einsätze und unterstützt mit Gestus und Mimik. Das kommt nicht nur Chorsängern und Solistenquartett zugute, sondern auch dem ins Gesamtgeschehen exzessiv verquickten Orchester. Textdeutlichkeit und agogische Präsenz sind beim Bachchor traditionell gelebte Selbstverständlichkeit, die unter Benjamin Hartmann ihre Fortsetzung findet. Dies irae erschüttert wie der Rex, vor dem wenigstens noch die Künstler in ihrer Kunst zittern, ganz zu schweigen von den Qualen der Hölle. Dort wird die dramaturgische Verschränkung mit dem Orchester zur gelebten Phantasmagorie bis in die Teufeleien der tiefen Bläser. Wunderbar die klaren Einwürfe im Lacrimosa.

Der besonders beeindruckende Gesamteindruck entsteht durch die perfekte Verschmelzung des Gesamtklanges, in dem höchste Dramatik und lyrische Zurückhaltung die emotionale Palette ausschöpfen, mit der Transparenz durch die polyphon gewebten Strukturen. Die akustischen Grenzen für die musikalische Ekstase werden bis an zum Anschlag ausgelotet, ohne den Kipppunkt zu überschreiten, an dem der Klang ins unkontrollierte Brüllen abdriftete und den Raum des Großen Saales zum Klirren brächte. Hier wird auch deutlich, dass lokale Ensembles mit den Gegebenheiten vor Ort so vertraut sind, wie es für das Erreichen von Spitzenergebnissen bedeutsam ist.

Begeisterter Beifall, in seiner Dauer fast durch die Vorstellung von in aeternum geleitet, bedankte alle Ausführenden für eine mitreißende Wiederauferstehung eines Werkes mit für menschliche Verhältnisse ewiger Geschichte. Ein Gemeinschaftswerk von seinem Beginn an, das immer neu für seine Vollendung zur Wirkung gebracht werden will. Dieser Wille war an diesem Todestag Mozarts stark und erhaben.

Bilder anjabihlmaier.de/Marco Borggreve; hwww.juliefuchs.com/Roxane Matise; nahueldipierro.com; Ralf Mohr;