Die Zärtlichkeit einer starken Vaterhand
SOMMERAKEDEMIE / DOZENTENKONZERT MARGULIS
11/08/10 Es ist ein ganz und gar nicht alltägliches Ereignis, wenn Jura Margulis eines seiner seltenen Konzerte gibt. Als Dozent der Sommerakademie des Mozarteums ist er am Dienstag (10.8.) wieder im Solitär aufgetreten und hat zwei der Jahresregenten gewürdigt: Schumann und Chopin.
Von Karl Winkler
Am Ende eines musikalisch ereignisreichen Abends, den seine Zuhörer mit größter Aufmerksamkeit erlebt haben, hat Margulis mit seiner vierten und letzten Zugabe – Chopins Fantaisie-Impromptu – noch einmal seine Stärken zusammengefasst und zu einem bewegenden Höhepunkt geführt. Da ist einmal seine rhythmische Unnachgiebigkeit und Sorgfalt zu nennen, unabhängig davon, ob es sich um technisch vertrackte Passagen handelt oder um das Zelebrieren von Langsamkeit. Die Vielfalt seiner klanglichen Möglichkeiten, von heller Brillanz und dunkler Pracht bis zu sanft gerundetem Dahingleiten. Eine Vorliebe für das Ausspielen von Kontrasten, die Präsenz auch sogenannter Nebenstimmen und das Aushorchen von Akkorden und Stimmungswechseln.
So hatte er schon in Chopins ersten beiden Balladen bewiesen, dass für ihn Geschwindigkeit keine Hexerei ist. Die wahren Zauberkünste entfaltete er im sanften Klang jener Traumsequenzen, die sich zwischen den herrisch aufgetürmten schroffen Gipfeln wie weite stille Täler ihren Raum schufen. Mit konzentrierter Strenge war er auch durch zwei Polonaisen – die "Tragische" und die "Heroische" – gewandert, schien sich mit Chopin selbst zu treffen im manischen Beharren, im gelegentlichen Reduzieren auf den puren Rhythmus. Das mächtige Auftrumpfen des op.53 haben freundliche Momente zwischendurch nur wenig gemildert. Und wenn man dann glaubt, das Schlussfortissimo sei erreicht, legt er noch einmal zu an mächtiger Klangentfaltung.
Der erste Teil des Abends hatte Robert Schumann gegolten. Den Beginn der Toccata spielt Jura Margulis nicht als eilenden Anlauf, wohl rasch, doch weich gerundet. Dann aber holt er unzählige Stimmen, rhythmische und harmonische Querverweise heraus und schafft so eine ungewohnte Verbindung zwischen barocken Satzkünsten und einem Aufbruch in Zeiten jenseits der Romantik.
So außergewöhnlich wie es endete, hatte das Konzert begonnen. Die Albumblätter op.124 sind eine der letzten zu Schumanns Lebzeiten veröffentlichten Sammlungen, die kleine früher komponierte Stücke zusammenfasst. 18 Nummern daraus hat Margulis präsentiert und damit sein Publikum sofort in seinen Bann geschlagen. Man durfte erfahren, dass nicht nur die Klavierwerke aus der Jugendzeit ihre Faszination ausüben, sondern auch die "Spreu" (diesen Titel hatte Schumann selbst ursprünglich vorgeschlagen) späterer Jahre, sofern sich ihrer jemand ernsthaft annimmt. Gleich das erste Stück, mit der nötigen Kraft und Genauigkeit gespielt, erwies sich als eine Huldigung an Bach'sche Präludienkunst. Danach als Gegensatz "Leides Ahnung" mit seinen langsam absteigenden Schritten. Da wagten bald die Davidsbündler ein Tänzchen, das "Lied ohne Ende" wurde zu einer anderen Träumerei, und scheinbar harmlose Walzerrhythmen weckten Erinnerungen an Beethovens herrische Bagatellen. So glich kein Stück dem andern, und doch war durch Margulis' Spannung alles miteinander verbunden.
Ein besonders berührender Moment gelang Margulis mit dem "Wiegenliedchen". Das könnte freilich recht harmlos klingen. Nicht so bei ihm. Wie ein geduldiger aber konsequenter Vater ließ er die einfachen Linien aufblühen. Es war jene ernste Zärtlichkeit, deren nur eine starke Hand fähig ist.