Der Wolf nicht für den Hugo

HOFHAYMER GESELLSCHAFT / CONTEMPORARY ENCOUNTERS

04/10/21 Unter dem Titel Contemporary Encounters sammelte das zweite Konzert der Salzburger Festtage alter und neuer Musik in der Erhard-Kirche gleich mehrere Uraufführungen. Das Vokaltrio meZZZovoce und das El Cimarrón Duo verbanden sich am Schluss zu Oscar Jockels Haiku-Vertonungen.

Von Erhard Petzel

Luca Lombardi ist mit Jahrgang 1945 der älteste Komponist, der hier zur Aufführung kommt mit dem Stück Ein Walzer für Hans. Nach zerrupften Vor- und Zwischenspielen schält sich immer wieder Walzerlieblichkeit im Wechselspiel von Gitarre und Marimbaphon heraus. Das El Cimarrón Duo mit Christina Schorn-Mancinelli an der Gitarre und Ivan Mancinelli am Marimbaphon erarbeitet seit 1999 Projekte mit Komponistinnen und Komponisten zeitgenössischer Musik und eigene Transkriptionen. Eine Kleine Paartanzszene von Michael Em Walter und ein Tango sans soleil von Helmut Jasbar sind weitere Genrebilder, die Tanz thematisieren und als Anregung zur stilisierten Abstraktion verstehen. Vito Palumbos Bicinium baut sich über Episoden auf, die durch unterschiedliche Bewegungsmuster geprägt sind und riffartige Bausteine enthalten.

Der jüngste Komponist, Oscar Jockel, Jahrgang 1995, vereint mit seiner Komposition Without skin everything feels cooler and warmer über japanische Landschafts-Miniaturen dieses Duo mit dem Damen-Trio mezzzovoce zum krönenden Abschluss des Abends am Samstag (2.10.) in der Erhard-Kirche. Er dirigiert das für diesen Anlass komponierte Werk, in dem statt des Marimbaphons eine Rahmentrommel eine tragende Funktion übernimmt. Das bedeutet im heiklen Kirchenklima vor der Aufführung unandächtiges Quieken im Kampf um die rechte Stimmung. Solche Erlebnisse sind echten Konzertbedingungen vorbehalten und zeigen, dass wirkliches Leben in der Kunst nicht auf die Ebene von Klangspeichern und Datenträgern übertragen werden mag. Als Ausgleich gibt es zum Stimmquieken Informationen vom Meister persönlich.

Leider sind die lyrischen Texte dieses Abends im ansonsten umfangreichen Programmheft nicht enthalten, sodass man bei der Imagination eines Nachtstrandes, eines Schwans im Winter, der Bewegung zweier Wolken und eines Wandernden mit Endorphinausschüttung bei Harzduft auf die eigene vage Einbildungskraft verwiesen ist. Es ist vielleicht auch nicht so wesentlich. Die an Farben und Bewegung reiche Musik findet in den geschmeidigen Stimmen von Alice Lackner, Anna-Luise Oppelt und Katharina Heiligtag eine engelsgleich homogene Klangkultur. Ein extremes Fortissimo bringt die drei Damen von meZZZovoce nicht aus dem Gleichgewicht, Glottispizzicati wetteifern mit Gitarre und Schlagwerk und selbstvergessene Klangflächen lassen Raum und Zeit zerrinnen. Sonst wechselten sich die Vokalistinnen mit dem Instrumentalduo regelmäßig ab, was erfrischenden Kontrast besorgte, sind die ästhetischen Gefilde doch unterschiedlich.

Ein Trio mit sehr homogenen Stimmen und gemeinsamer Tonlage für sehr spezielle Qualitäten, die gleich beim Eröffnungsstück zum Tragen kommen. Time will come von Sabine Wüsthoff, grande Dame des zeitgenössischen Musiklebens über Berlin hinaus mit spezieller Choraktivität, greift fest in das Handwerksrepertoire für aktuelle Vokalensembletechniken mit allmählich aufgefächerten Klangflächen, Schnellparlando bis zart Gehauchtem. Von ihr kommt später eine Paraphrase auf das Weihnachstlied Still, weil’s Kindlein schlafen will im schrägen engen Satz mit Schlusseinklang auf übergroß.

Dass alte Musik zumindest zitiert wird, verdankt sich zwei Arrangements von Liedern Hugo Wolfs von Laurence Servas. Shara Novas Sleep atmet contemplative Ruhe, Ruth Alons Isha Bitzifa jiddische Melodik über Bordun, woraus sich über einen Choral eine nervöse Klimax entwickelt. Kleinphrasig mit Spannungspausen auf atomisierte Silben Yonghee Kims Winterregen. MeZZZovoce verkörpern damit selbstbewusste Weiblichkeit in der Kunst, indem sie vorwiegend Komponistinnen im Programm haben. Dass Frauen in nobler Eleganz und glockigem Klang ihre Stimmen zum Leuchten bringen, ist wunderbar. Dass es dabei auch neckisch zugehen kann, wird in der Nixe Binsefuss bewiesen. Dass der Wolf nicht ganz für den Hugo ist, macht die Arrangeurin. Schade, dass diesem tollen Konzert keine berstend volle Kirche beschieden war.

Bilder: IPHG