Die Sinnlichkeit des Lebens

UNI MOZ / CARMINA BURANA 

28/06/21 Carl Orffs Carmina Burana zündet auch in der„reduzierten“ Version für Schlagzeug und zwei Klaviere. Dies bewies die Universität Mozarteum am 25. und 26. Juni in der Szene Salzburg. Einmal am Vormittag als „Educationkonzert“ und zweimal am Abend erklang Orffs Geniestreich - womit nachträglich auch der 125. Geburtstag des Komponisten im Jahr 2020 gefeiert wurde.

Von Gottfried Franz Kasparek

Das Uraufführungsjahr 1937 mag bedenklich stimmen, aber vergessen wir nicht, dass dem Schöpfer dieses späteren Welthits damals in Nazi-Deutschland von der offiziellen Kritik „bayerischer Niggerjazz“ und die Verwendung von allzu viel Küchenlatein und allzu wenig Mittelhochdeutsch vorgeworfen wurde. Doch ausgerechnet der vegetarische Antialkoholiker Adolf Hitler fand großen Gefallen an der explosiven, aber mitunter auch berührend lyrischen Sammlung ekstatischer Fress-, Sauf- und Liebeslieder aus dem Mittelalter. Wahrscheinlich imponierte ihm vor allem die krachlederne, „germanische“ Kraftentfaltung der Musik, die man freilich ebenso vor dem Hintergrund einer internationalen Strömung hin zum Klassizismus, zur Folklore und zur Rückbesinnung auf alte Musik in dieser Zeit sehen kann. Manch rhythmische Jazz-Annäherung passt da gut dazu.

Der Orff-Schüler Wilhelm Killmayer bearbeitete die unverwüstlichen „Cantiones profanae“ 1956 für zwei Klaviere und Schlagzeug. Orff hat diese Fassung nicht nur beauftragt, sondern auch autorisiert. Allerdings war die Aufführung der abgespeckten Version zunächst nur für Schulzwecke gestattet, was sich erst im 21. Jahrhundert änderte. Und siehe da,  „seltsamerweise fehlt dem Hörer beim Verfolgen dieses Arrangements nur wenig“, war in der Zeitschrift FonoForum 2012 über die nach einer Lübecker Aufführung entstandene CD-Aufnahme zu lesen, „eher schon ist man erleichtert, ein Riesenorchester endlich von chronischer Unterforderung befreit zu wissen. (...) Noch spannungsgeladener, beweglicher, federnder kommen diese ‚Carmina’ daher.“ In der Tat, die rhythmischen Strukturen des Werks kommen klar zur Geltung, ebenso transparent wie intensiv.

In der extrem trockenen, knalligen und nachhallfreien Akustik der Szene wirkt Killmayers Arrangement besonders authentisch und erzeugt oft geradezu Rockkonzert-Stimmung, was die grenzwertige Lautstärke der Schlagzeugexzesse betrifft. Der Dirigent und Mozarteum-Professor Jörn Hinnerk Andresen schafft es allerdings, den Furor immer noch rechtzeitig einzubremsen und dazwischen schöne spröde Klangpoesie aufblühen zu lassen. Wie etwa im Lied Chume, chum geselle min.

Der etwa 35köpfige, also schlank besetzte Chor, gebildet aus Studierenden und Gästen, ist ein neues Projekt, welches die Musikuniversität mehr mit der Chor-Öffentlichkeit verbinden soll. Das Debüt glückte, nehmt alles nur in allem, beeindruckend. Die extrem schweren Soli sangen am Abend des 25. Juni drei famose junge Leute. Alina Martemianova ist nicht nur eine Sopranistin mit leuchtendem Timbre und voll bester Zukunftshoffnung, sondern auch eine aparte Bühnenpersönlichkeit – kein Wunder, hat sie in ihrer russischen Heimat doch auch schon erfolgreich Sprechtheater gespielt. Der Südtiroler Jakob Mitterrutzner bewältigt mit frischem Bariton die Falsettklippen seines Parts mit Bravour und wirkt als Abt aller Saufkumpane komisch und erdig zugleich. Der Belarusse Ilya Dovnar erfüllt den skurrilen Auftritt des gebratenen Schwans mit hellem Tenor an der Kippe zum Counter.

An den zwei Klavieren werken Mateusz Duda und Hyunji Kim mit merkbarer Freude und hörbarer Perfektion. Dasselbe gilt für die Schlagzeuger, die es sich verdienen, aufgezählt zu werden: Simon Gasteiger, Aaron Grünwald, David Hödlmoser, Gregor Resch und Valentin Vötterl. Großer Jubel für alle Mitwirkenden am Ende. Ja, und es wirkt gerade jetzt befreiend, maskenlose Menschen die Sinnlichkeit des Lebens preisend zu erleben.

Bilder: Universität Mozarteum / Sam Beklik