In staunendem Schweigen…

CD-KRITIK / NUR WER DIE SEHNSUCHT KENNT

04/04/14 „O wie dank' ich, daß gegeben solche Schmerzen mir Natur...“ Sie bringen das emotionale Übermaß der „Wesendonck-Lieder“ oder das blindwütige Schmachten von Tristan und Isolde – „Ewig einig, ohne End, ohn Erwachen, ohn Erbangen, namenlos in Lieb umfangen“ – auf den Punkt kammermusikalischer Intimität: Die Mezzosopranistin Eva Leitner, die Pianistin Iris Shioling Moldiz und Kammerschauspielerin Julia Gschnitzer.

Von Heidemarie Klabacher

Der erste Werkblock auf der CD „Nur wer die Sehnsucht kenn“ gilt Richard Wagner. Die Wesendonck-Lieder - in der Originalfassung für Klavier - werden interpunktiert und zunächst emotional noch einmal übersteigert durch rezitierte Textpassagen aus „Tristan und Isolde“. Was nur allzu leicht in Richtung „ästhetischen Überhang“ abdriften könnte, halten die Mezzosopranistin Eva Leitner, die Pianistin Iris Shioling Moldiz und Kammerschauspielerin Julia Gschnitzer gekonnt in der Balance kammermusikalischer Transparenz.

Hugo Wolfs große Paraphrase über „Die Meistersinger von Nürnberg“ mit einem von Paul Gulda ergänzten Klaviersatz leitet über zum zweiten Werkblock. Die Lieder der geheimnisvollen Mignon („Heiß mich nicht reden“, „Nur wer die Sehnsucht kennt“, „So lass mich scheinen“ oder „Kennst Du das Land“) stammen ja alle aus Johann Wolfgang Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. In dieser literarischen, aber gar nicht akademisch-betulich wirkenden Zusammenstellung verschmelzen die Gedichtvertonungen Hugo Wolfs und die Textpassagen aus dem Roman zu einer dramaturgisch überzeugenden Einheit.

Dass Wilhelm Meister – der heillos verliebte und theaternärrische Titelgeber, aber keineswegs die alleinige Hauptperson des Romans – eine ganz handfeste Entwicklung zum nützlichen Bürger durchmacht, ist in dieser schwärmerischen Zusammenstellung natürlich nicht das Thema. Erzählt wird vielmehr von einer zentralen Begegnung und zugleich von einer künftigen Erinnerung. Wie liebevoll sich dieser Wilhelm um das geheimnisvolle schutzbedürftige Kind kümmert, wird bewegend deutlich: „Liebe Mignon, du bist auch unter meinen Schmerzen…“

Eva Leitners Interpretation – sowohl der Wagner’schen „Wesendonck-“, als auch der Wolf’schen „Mignon“-Lieder – überzeugt in jeder Nummer. Sie gebietet über eine große facettenreiche Stimme, die sie mit technischer Souveränität und bewundernswerter Textdeutlichkeit zu fokussieren weiß: So wird jedes Lied zur großen Oper, ohne dass der Liedcharakter verloren ginge.

Die Pianistin Iris Shioling Moldiz ist die kongeniale Partnerin für diesen ebenso romantischen wie analytischen Zugang zum Lied – und zu einigen der opulentesten und wohl opernnahesten Vertreter der Gattung. Allein das Vorspiel zum fünften Wesendonck-Lied „Träume“! Der mehrmals angeschlagene einleitende Akkord ist wie eine subtil aufgebaute Absprungbasis hinaus aus der Realität: Sag', welch wunderbare Träume halten meinen Sinn umfangen...“ In der Meistersinger-Paraphrase öffnet Iris Shioling Moldiz mit geradezu gesanglicher Phrasierung und vielgestaltigem Klang den Blick in die Tiefen des komplexen musikalischen Materials.

Die von Julia Gschnitzer gelesenen Passagen aus „Wilhelm Meister“ bringen in Erinnerung, dass der – fast schon erfolgreich aus dem Lesekanon vertriebene – „verstaubte Klassiker“ eigentlich ein lebensnahes aktuelles Meisterwerk ist.

Eva Leitner studierte an der Universität Mozarteum Gesang bei Marianne Schartner und Lied und Oratorium bei Wolfgang Holzmair. Ab 2011 folgten ein Postgraduate-Studienlehrgang bei Wolfgang Holzmair, sowie Meisterkurse bei Petra Lang, Gundula Janowitz, Angelika  Kirchschlager, Barbara Bonney, Siegfried  Jerusalem oder Rodger Vignoles. In Salzburg ist der Name Eva Leitner geläufig. 2010 debütierte sie unter der Leitung von Daniele Gatti  bei den Festspielen als 4. Magd in Richard Strauss` „Elektra“. Im Zentrum von Eva Leitners Interesse für das Lied stehen Brahms, Liszt, Mahler oder Strauss – aber eben auch Wolf und Wagner. Wie auf der CD „Nur wer die Sehnsucht kennt“ verbindet sie in ihren Liederabenden gerne Lied mit Lyrik.

Nur wer die Sehnsucht kennt: Eva Leitner (Mezzosopran); Iris Shioling Moldiz (Klavier); Julia Gschnitzer (Rezitation) – weinberg records LC14529
CD-Präsentation und Konzert: Sonntag (6.4.) um 19 Uhr im Domchorsaal – www.evaleitner-mezzosopran.net